In Augsburg regnet es in Strömen und ich komme aufgrund von Sperrungen und Umwegen durch die Baustelle am Bahnhof irgendwo heraus, wo die Freundin, die mich abholt, nicht ist. Gelobt sei der Erfinder der Smartphones, denn bevor ich zum dritten Mal an diesem Tag völlig durchweiche, ist das Auto da. Zur gemeinsamen Planungs-Spätschicht gibt es Wasser und einen richtig guten Single-Malt-Whisky. Ein liebevoll gerichtetes Gästezimmer und richtig guten Kaffee und eine frische Brezel zum Frühstück.
In Neuburg begrüßen uns am nächsten Morgen drei gemütlich wiederkäuende Alpakas und viele strahlende Gesichter. Wir sprechen darüber, wie die Tiere den alten Menschen auf einer Pflegestation gut tun, was man tun kann, damit Menschen, die aufgrund ihres Alters und ihrer Krankheiten nur noch einen sehr begrenzten Lebens- und Erfahrungsraum haben, teilhaben können an unserer Welt, am Leben außerhalb ihres Krankenzimmers. Ich treffe Menschen, die ihren Alltag damit verbringen, sich für andere einzusetzen, die gemeinsam nach Lösungen für Probleme suchen – die die Probleme sehen und erkennen und nicht jammern und schimpfen, sondern an- und zupacken.
Im Nachbarraum sitzt eine Gruppe von Männern und Frauen zusammen. Die Nähmaschinen surren, es entstehen Patchworkarbeiten, Quilts und kleine Dekostücke, die sie beim Weihnachtsbasar für einen guten Zweck – für Menschen in Not – verkaufen werden.
Am Abend sitze ich in einer fröhlichen Frauenrunde in Passau. Es gibt Tee und Bier und gute Gespräche. Die Frauen haben im Sommer 2015 gesehen, was gebraucht wird und einen Teil ihres Anwesens, in dem sie vorher Gäste empfingen, geöffnet; nun wohnen dort acht geflüchtete Frauen und sechs Kinder. Leicht gefallen ist ihnen das anfangs nicht und vom Zerrbild der romantisierenden Heldinnen, die die Probleme vor lauter rosaroter Billen nicht sehen wollen oder können, sind sie weit entfernt. Ganz offen und sehr aufrichtig erzählen sie von ihren Erfahrungen in den vergangenen Jahren. Den guten und den schweren. Den enttäuschten Hoffnungen und denen, die sich erfüllt haben. Von den Anstrengungen, die es bedeutet, wenn Menschen, die sich eigentlich auf einen ruhigeren Lebensabschnitt eingerichtet hatten, im Rentenalter noch einmal eine solche Herausforderung meistern. Von den Glücksmomenten, die entstehen, wenn man sich trotz fehlender gemeinsamer Sprache verständigen kann, wenn man gemeinsam kocht und isst, Weihnachtslieder singt oder eine junge Schwangere zur Entbindung begleitet.
Die jungen Frauen aus aller Herren Länder berichten in einem wilden Mischmasch aus Deutsch, Englisch und Arabisch das Gleiche. Von furchtbaren Erfahrungen auf der Flucht, von dem Moment, wo sie sich zu Hause, angekommen fühlen durften. Von der Hilfsbereitschaft der Nachbarinnen, wenn eines der Kinder sich die Knie aufschlägt oder ein Brief ankommt, den sie nicht verstehen. Von Kochrezepten aus der Heimat und solchen, die sie neu kennengelernt haben. Kinder klettern mir auf den Schoß und sind fasziniert von meiner Brille und dem Anhänger an meiner Halskette, so, als hätten sie nie Krieg und Gewalt erlebt.
Auf dem Rückweg dann ein Unwetter und stundenlange Verspätung in der Bahn. Menschen, die sich zu Fahrgemeinschaften verabreden, sich gegenseitig Kopfhörer zustecken, um die Wartezeit mit Musik zu verkürzen, Bücher, die hin und her gereicht werden, weil einer sie ausgelesen hat und die andere sie gerne anlesen würde. Geteilte Butterbrote und Wasserflaschen, da es im Bordbistro nichts mehr zu kaufen gibt.
In all dem: Kein Wort über die Wahl.
Aber am Ende des langen Wochenendes ein wenig mehr Hoffnung, dass da unter der lauten, krawalligen, menschenfeindlichen Oberfläche, hinter den Fassaden mit den immergleichen Politikerplakaten mit den austauschbaren Wahlversprechen, hinter den beängstigenden Umfragewerten und gebrüllten Parolen, dass da Menschen sind, denen komplexe Zusammenhänge nicht zu kompliziert sind. Menschen, die bereit sind, etwas von sich selbst einzusetzen für andere, egal wer sie sind, woher sie kommen und wie gesund oder krank sie sind. Menschen, die da sein werden, auch wenn das gesellschaftliche Klima noch rauer wird. Die es aushalten können und wollen, wenn andere anderer Meinung sind, weil sie die Grundhaltung sehen und suchen, die uns alle verbindet. Die Kritik äußern, dabei aber sachlich bleiben. Die sich dem Dialog nicht entziehen und immer wieder neu die Ärmel hochkrempeln. Die Hoffnung, dass diese Menschen, dass wir es sein werden, die den längeren Atem haben.