Archiv für den Monat: August 2020

Wie im Comic

An meinem Bildschirm im Büro lehnt seit vielen Jahren (und in verschiedenen Büros) ein kleiner Tintin – der Held aus Tim und Struppi. Ich habe ihn damals bei meinem ersten Besuch in Louvain-la-Neuve aus dem Hergé-Museum mitgebracht. Er erinnert mich nicht nur an die schönen und für mich wichtigen Tage in dem kleinen belgischen Städtchen, sondern weckt auch Erinnerungen an die Lektüre der Comics als Jugendliche.

Man sollte also meinen, dass ich Comics super finde und nichts dagegen habe, in Szenen aufzutauchen, die eines Comicheftes würdig wären.

Von wegen.

Heute fahre ich mit dem Rad von Köln aus nach Hause. Ich starte bei bewölktem Himmel mit großen blauen Flecken dazwischen. Als ich auf den Radweg am Rhein einbiege, kommt sogar die Sonne heraus und bringt das Wasser zum Glitzern. Ich düse also fröhlich am Rhein entlang, komme aus der Stadt heraus und bin noch nicht sehr besorgt, dass es über mir ziemlich duster wird. Vor mir, hinter mir und um mich herum überall weiße Wolken und nur ein wenig hellgrau. Da wird die große schwarze Wolke über mir doch nicht… äähhh, doch. Wird sie. Tut sie.

Naja, ich bin nicht aus Zucker und auf dem Heimwegwi. Wird schon und ich habe ja schon ganz andere Regengüsse mitgemacht und erinnere mich super gerne daran – denke ich bei den ersten dicken Regentropfen. Doch noch bevor ich zuende gedacht habe, bin ich pitschepatschenass. Aus dem Tröpfeln wird mir nichts dir nichts ein Guss. Die Wolke über mir regnet auf mich. Besser gesagt: Sie schüttet. Als müsse sie all ihren Inhalt auf einmal abwerfen. Auf mich. Genau dann, als ich am Forstbotanischen Garten entlang radle, weit und breit kein Dach und keine Brücke zum Unterstellen. Wie in so einem Comicbuch oder einem Zeichentrickfilm aus Urzeiten. Fehlt nur die klimpernde Musik, die klar macht, dass es hier den richtigen, nämlich den Schurken erwischt – oder den armen Tropf, der einfach immer Pech hat.

Dann wird aus dem Regen Hagel. Aua. Ich strample tapfer weiter. Noch 12 Kilometer,  mit mittlerweile durchsichtigem Shirt und nassen Füßen (sollten die Schuhe nicht wasserdicht sein?). Noch 2 Kilometer, dann kommt eine Brücke. Und was soll ich euch sagen: Als ich sie erreiche, hört es auf zu schütten. Von jetzt auf gleich kein Tropfen mehr. Stattdessen: Sonne. Und nichtmal ein Regenbogen.

Ab sofort kommen mir Profiradler en masse entgegen. Mit Profiausrüstung natürlich, Trikot und Regenjacke und Klicksystemschuhe. Einer sogar mit Regenschutz für den Helm. Sie grinsen mich an, feixen – genau wie die Typen in den Comics, die neben der Wolke stehen und lachen.

Aber hallo? Ich bin weder eine Schurkin noch die Trotteline vom Dienst. Ich will doch nur nach Hause. Und was sehen würde ich auch gerne. Gibt es Scheibenwischer für Brillen? Egal. Fest steht jedenfalls: Ich nehme das persönlich.

Aber keine Angst, Tintin darf bleiben. Von der Kindersehnsucht, einmal eine Heldin aus einem Comic zu sein, bin ich allerdings erstmal kuriert.

Auf der Piazzetta

Bei uns im Dorf gibt es diesen einen Ort. Er liegt erhöht, vermutlich ist es sogar die höchste Stelle. Eine kleine Kapelle steht darauf und eine alte Kastanie. Zwischen diesen beiden liegt der Platz. Die Pflastersteine ergeben kein spektakuläres Muster, es gibt keinen Brunnen oder sonst irgendeine Besonderheit. Aber an drei Seiten gibt es ein Mäuerchen zum Sitzen und Atem holen. Zum Zur-Ruhe-Kommen und In-den Abendhimmel-Schauen. Zum Händchen halten. Und zum Vesper beten.

In diesem so ganz anderen Sommer ist der Platz an einem Abend in der Woche zum Treffpunkt geworden. Es ist gar nicht weithin bekannt, nur mit etwas Glück habe ich davon erfahren (wobei das größe Glück dabei ist, die Organisatorin zu kennen – und das gilt natürlich weit über diese Aktion hinaus). Einige kommen zu Fuß, andere stellen das Fahrrad unten am Hügelchen ab. Mit Mund-Nasen-Schutz gehen wir alle nacheinander die paar Stufen der Treppe hinauf und jede*r, wirklich jede*r bleibt erst einmal stehen und sieht in die Krone der Kastanie und holt tief Luft. Schön hier.

Mit Abstand verteilen sich die Menschen – meistens eine Hand voll, nicht mal ein Dutzend,  gerade so viele, dass der Platz ausreicht auf den Mäuerchen. Gemeinsam beten wir die Vesper – und wenn der Abstand ausreicht, wird sogar ein Psalm oder das Magnifikat gesungen. Lässt das Wetter es zu, wird hinterher noch geplaudert, in der Abendsonne oder – wie schön, dass es ihn gibt – im Schatten der Kastanie.

Mir tut diese Gebetsgemeinschaft aus verschiedenen Gründen gut. Zum einen ist es schön, nicht nur mit dem Lieblinsgmenschen Hauskirche zu zelebrieren, sondern Gemeinschaft zu sein, so klein und improvisiert sie auch sein mag. Zum anderen tut es mir gut zu sehen und zu erleben, dass da mitten in in unserem Dorf, wo die Kirche ab Mitte März durchgehend geschlossen und nicht einmal zum stillen Gebet geöffnet war, Menschen kreativ geworden sind und Möglichkeiten geschaffen haben, wo es offiziell keine gab. Die Sache selbst in die Hand nehmen, solidarisch sein, sich umeinander und füreinander sorgen. Kleine Dinge, die so große Wirkung haben. Wo zwei oder drei… auch und gerade auf unserem kleinen Dorfplatz.