Archiv für den Monat: Januar 2021

Weiße Weite

Wir trinken Whisky mit den Freunden in unserer kleinen Skype-Kneipe und es schneit. Erst nur ein wenig, dann immer mehr. Irgendwann verabschieden wir uns, denn es zieht uns in den Schnee. Der Lieblingsmensch und ich ziehen uns warm an, ich setze meinen Pussyhat auf (Danke LittleB, er ist einfach jedes Mal wunderbar) und los geht es in die verschneite Nacht.

Nachbars Steinteddy trägt eine schicke weiße Mütze, wir bauen einen kleinen Schneemann und setzen ihn unserer Haustür gegenüber auf eine kleine Verkehrsinsel. Viel Verkehr muss er nicht überwachen.

Still ist es. Man hört nichts außer dem Knirschen unserer Schritte auf dem Schnee. Ich hatte fast vergessen, wie sehr ich dieses Geräusch liebe. Schnee hat einen ganz eigenen Klang, der mich immer schon glücklich macht. Am Bachlauf fallen größere Schneestückchen leise platschend ins Wasser. Dicke Flocken treffen meine Nasenspitze und tauen fröhlich vor sich hin. In den Büschen raschelt es – welche Tiere sich da wohl ein warmes Plätzchen suchen?

Überraschend hell ist es. Der Schnee reflektiert die Lichter der Dörfer in der Umgebung. Das Licht im Gewächshaus der Kräutergärtnerei verzaubert die umliegenden Beete in ein Schattenspieleparadies. Wir spazieren eine große Runde über die Felder. Kohl und Wintergetreide und Rollrasen haben sich zudecken lassen und leuchten uns den Weg.

Die Stille um uns breitet sich aus, mäandert in mich hinein, füllt mich aus. Gehen, atmen, den Schnee hören und riechen und schmecken. Die Weite macht Raum für tiefe Gespräche und einvernehmliches Schweigen.

Wir sind nicht die ersten hier, aber immer wieder stoßen wir auf unberührte Wege, auf denen noch keine Füße und keine Pfoten gelaufen sind. Zeit zum Albern sein. Auf einer großen, unberührten Schneefläche hopse ich wie ein Pinguin, als wäre ich 3 und nicht 43 Jahre alt. Und mache lachend ein Erinnerungsfoto.

Je näher wir auf dem Rückweg dem Dorf kommen, desto mehr Menschen begegnen uns. Hundebesitzer*innen, Spaziergänger, einzeln oder zu zweit. Wir nicken uns zu, lächeln, sind verbunden in der Freude über die unerwartete Pracht. Verzückte Komplizinnen in diesem nächtlichen Genuss.

Wenn wir in diesem Jahr nicht zum Schnee kommen können, kommt er schließlich und endlich doch noch zu uns. Hach, was schön.

Ein quasi französischer Vorsatz

Schon ist das neue Jahr beinahe zwei Wochen alt und ich stolpere so herum. Ich habe all die euphorischen „Jetzt ist der Mist endlich vorbei“-Jahreswechsel-Elogen nicht verstanden. Wobei: Verstanden, wie das kommt, habe ich irgendwie schon. Aber Verständnis dafür war keines in mir übrig. Aber mir ist ja im vergangenen Jahr sowieso das Verständnis für das Konzept Mensch in weiten Teilen verloren gegangen. Mein Verständnis für Menschen so ganz allgemein (was glücklicherwiese ganz gegenläufig war zum Verständnis für und Vertrauen in die konkreten Menschen um mich herum). Der Mittwoch mit dem Sturm auf das Kapitol und sowieso die allgemeine Nachrichtenlage helfen nicht akut beim Zurückgewinnen.

Was ist feststelle ist, dass ich, ohne es bewusst zu wollen und zu überdenken, anscheinend einen Neujahrsvorsatz gefasst habe. Und der heißt Zuversicht. Ich will zuversichlich sein – da ist ja die Impfung am Horizont und der Frühling. Da ist ein virtuelles Gefährtinnentreffen in ganz naher Zukunft, das in diesem meinem Arbeits- und Lebensinternet ein Licht anzündet. Da sind Gespräche, die mich berühren und anrühren und Bücher, auf die ich mich freue. Da ist der Artikel, der besagt, dass das, was der Lieblingsmensch und ich seit dem vergangenen März exzessiv betreiben – nämlich Spazierengehen – jetzt eine Trendsportart sei und das bringt mich tatsächlich zum Schmunzeln. Ich betreibe eine Trendsportart, wenn das kein Grund zur Zuversicht ist.

Ich will zuversichtlich sein. Der Weihnachtsbaum ist abgeschmückt und entsorgt, aber die Weihnachtspost, die von liebevollen und dauerhaften Verbindungen zeugt, die darf bleiben. Auch, weil sie mir Zuversicht spendet für Tage, an denen ich abends mit niemandem mehr reden mag und von Verbindung über alle Einschränkungen hinweg kündet.

Ich will zuversichtlich sein. Nicht diese Art von Zuversicht, dass ich in diesem Jahr alles schaffe, was seit Ewigkeiten liegengeblieben ist und die mich nur unter Druck setzt, weil ich meinen eigenen hohen Ansprüchen dann doch wieder nicht gerecht werde. Nicht diese naive Art von Vorstellung, dass Dinge sich plötzlich auf wundersame Weise ändern und alles so wird, dass ich es als vernünftig empfinde. Sondern die Art von Zuversicht, in der Vertrauen eine Rolle spielt und Geduld (auch in mich und mit mir selbst) und Nachsicht – und ab und an auch Unverständnis und Gereiztheit, weil die Zustände eben so sind wie sie sind. Aber ich lebe in ihnen und mit ihnen und tue eben das, was ich kann. Und sei es nur, einige Tage weniger Nachrichten zu konsumieren und mehr zu lesen (also Literatur, nicht Analysen zur Nachrichtenlage).

Quasi eine französische Art von Zuversicht. Denn da gibt es kein eigenes Wort, sondern man sagt „confiance“ und das meint gleichzeitig Zuversicht und Vertrauen und Zutrauen. Und das Verb ist nicht passiv (zuversichtlich sein), sondern aktiv: faire confiance.

Mal sehen, wohin diese Aktivität mich in diesem Jahr bringt. Wohlan.