Schlagwort-Archive: Menschlichkeit

Ich steh an (k)einer Krippe hier

Kein Kind in der Krippe. Die Hirten, die Könige, Maria und Josef, ja sogar die lebendigen Schafe schauen ganz erwartungvoll, die einen halten Geschenke und Laternen und lächeln, die anderen pusten warme Luft vor sich hin, fressen gemächlich ihr Futter und määähen ein bisschen vor sich hin. Aber die Hauptperson fehlt.

Der schön geschnitzte Holztrog ist festlich beleuchtet. Und leer. Ich steh an keiner Krippe hier.

Stille Nacht ist es auch nicht. Jingle Bells gröhlt eine Gruppe Jugendlicher mit Sprühkerzen in den Händen und schon ordentlich Glühwein in den Hälsen und Bäuchen auf dem Platz nebenan.

Die Weihnachtsbeleuchtung in den Straßen ist stimmungsvoll und es beginnt tatsächlich, sehr nach Weihnachten auszusehen.

Aber es weihnachtet nicht. Sehr.

Die Kinderlein laufen vorbei, die Glocken vom benachbarten Turm klangen auf jeden Fall schon einmal süßer und die Tränen des Business-Herrn, der sich mit seinem Handy auf der Bank neben der Krippe niedergelassen hat, sind so groß, dass sie sicher nicht aufgrund von oh du fröhlicher Weihnachtsfreude in seinem Dreitagebart versickern.

Weihnachten wird nicht, wenn der Weihnachtsmarkt eröffnet. Nicht, wenn der Sultan von Weitweg das Luxushotel wieder räumt und auch andere Gäste einen Cocktail an der Bar nehmen können. Nicht, wenn jemand von der Stadtverwaltung kommt und eine geschnitze Figur in die Krippe legt.

Weihnachten wird, wenn wir einander zu mitfühlenden, ehrlichen, zugewandten Menschen werden. Wenn wir uns gegenseitig zuhören und uns miteinander freuen. Wenn wir ehrlich mit uns selbst sind. Uns um Freunde sorgen und uns für Fremde stark machen. Wenn wir in Not geratenen Menschen helfen, ohne nach einer Gegenleistung zu fragen. Wenn wir es unerträglich finden, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken müssen, weil es anstrengend ist, über menschliche Lösungen nachzudenken. Wenn wir unsere Stimme erheben gegen Ungerechtigkeit und Hass. Wenn wir einem Kind zulächeln und seiner gestresste  Mutter helfen, den Kinderwagen die Stufen zum Bus hinaufzuwuchten.

Weihnachten stellt nicht den Anspruch, dass wir die ganze Welt verändern. Das Kind in der Krippe hat nicht an seinem ersten Lebenstag einen Herrschaftsanspruch herausposaunt, es gab keine weltumspannende Revolution, keinen politischen Erdrutsch. Aber die Menschen drumherum, die hat es verändert. Und dann die nächsten Menschen um ihn herum. Und die wieder andere. Kreise ziehen. Wer genau hinschaut, sieht nicht nur einen (Halb-)Kreis um die Krippe.

Es ist eine stille Revolution. Eine Hoffnungs-Revolution. Eine, die man zunächst kaum sehen kann. An die man kaum zu glauben wagt, so gegen alle Regeln scheint sie zu sein.

Das Licht in der Krippe gibt uns den entscheidenden Hinweis. Wir müssen nicht warten, dass es Weihnachten wird. Wir können gleich damit anfangen. In der Mitte der Nacht.

Bayern vor der Wahl

In Augsburg regnet es in Strömen und ich komme aufgrund von Sperrungen und Umwegen durch die Baustelle am Bahnhof irgendwo heraus, wo die Freundin, die mich abholt, nicht ist. Gelobt sei der Erfinder der Smartphones, denn bevor ich zum dritten Mal an diesem Tag völlig durchweiche, ist das Auto da. Zur gemeinsamen Planungs-Spätschicht gibt es Wasser und einen richtig guten Single-Malt-Whisky. Ein liebevoll gerichtetes Gästezimmer und richtig guten Kaffee und eine frische Brezel zum Frühstück.

In Neuburg begrüßen uns am nächsten Morgen drei gemütlich wiederkäuende Alpakas und viele strahlende Gesichter. Wir sprechen darüber, wie die Tiere den alten Menschen auf einer Pflegestation gut tun, was man tun kann, damit Menschen, die aufgrund ihres Alters und ihrer Krankheiten nur noch einen sehr begrenzten Lebens- und Erfahrungsraum haben, teilhaben können an unserer Welt, am Leben außerhalb ihres Krankenzimmers. Ich treffe Menschen, die ihren Alltag damit verbringen, sich für andere einzusetzen, die gemeinsam nach Lösungen für Probleme suchen – die die Probleme sehen und erkennen und nicht jammern und schimpfen, sondern an- und zupacken.

Im Nachbarraum sitzt eine Gruppe von Männern und Frauen zusammen. Die Nähmaschinen surren, es entstehen Patchworkarbeiten, Quilts und kleine Dekostücke, die sie beim Weihnachtsbasar für einen guten Zweck – für Menschen in Not – verkaufen werden.Blauer Hmmel mit zahlreichen weiße Wolken über einer grünen Wiese

Am Abend sitze ich in einer fröhlichen Frauenrunde in Passau. Es gibt Tee und Bier und gute Gespräche. Die Frauen haben im Sommer 2015 gesehen, was gebraucht wird und einen Teil ihres Anwesens, in dem sie vorher Gäste empfingen,  geöffnet; nun wohnen dort acht geflüchtete Frauen und sechs Kinder. Leicht gefallen ist ihnen das anfangs nicht und vom Zerrbild der romantisierenden Heldinnen, die die Probleme vor lauter rosaroter Billen nicht sehen wollen oder können, sind sie weit entfernt. Ganz offen und sehr aufrichtig erzählen sie von ihren Erfahrungen in den vergangenen Jahren. Den guten und den schweren. Den enttäuschten Hoffnungen und denen, die sich erfüllt haben. Von den Anstrengungen, die es bedeutet, wenn Menschen, die sich eigentlich auf einen ruhigeren Lebensabschnitt eingerichtet hatten, im Rentenalter noch einmal eine solche Herausforderung meistern. Von den Glücksmomenten, die entstehen, wenn man sich trotz fehlender gemeinsamer Sprache verständigen kann, wenn man gemeinsam kocht und isst, Weihnachtslieder singt oder eine junge Schwangere zur Entbindung begleitet.

Die jungen Frauen aus aller Herren Länder berichten in einem wilden Mischmasch aus Deutsch, Englisch und Arabisch das Gleiche. Von furchtbaren Erfahrungen auf der Flucht, von dem Moment, wo sie sich zu Hause, angekommen fühlen durften. Von der Hilfsbereitschaft der Nachbarinnen, wenn eines der Kinder sich die Knie aufschlägt oder ein Brief ankommt, den sie nicht verstehen. Von Kochrezepten aus der Heimat und solchen, die sie neu kennengelernt haben. Kinder klettern mir auf den Schoß und sind fasziniert von meiner Brille und dem Anhänger an meiner Halskette, so, als hätten sie nie Krieg und Gewalt erlebt.

Auf dem Rückweg dann ein Unwetter und stundenlange Verspätung in der Bahn. Menschen, die sich zu Fahrgemeinschaften verabreden, sich gegenseitig Kopfhörer zustecken, um die Wartezeit mit Musik zu verkürzen, Bücher, die hin und her gereicht werden, weil einer sie ausgelesen hat und die andere sie gerne anlesen würde. Geteilte Butterbrote und Wasserflaschen, da es im Bordbistro nichts mehr zu kaufen gibt.

In all dem: Kein Wort über die Wahl.

Aber am Ende des langen Wochenendes ein wenig mehr Hoffnung, dass da unter der lauten, krawalligen, menschenfeindlichen Oberfläche, hinter den Fassaden mit den immergleichen Politikerplakaten mit den austauschbaren Wahlversprechen, hinter den beängstigenden Umfragewerten und gebrüllten Parolen, dass da Menschen sind, denen komplexe Zusammenhänge nicht zu kompliziert sind. Menschen, die bereit sind, etwas von sich selbst einzusetzen für andere, egal wer sie sind, woher sie kommen und wie gesund oder krank sie sind. Menschen, die da sein werden, auch wenn das gesellschaftliche Klima noch rauer wird. Die es aushalten können und wollen, wenn andere anderer Meinung sind, weil sie die Grundhaltung sehen und suchen, die uns alle verbindet. Die Kritik äußern, dabei aber sachlich bleiben. Die sich dem Dialog nicht entziehen und immer wieder neu die Ärmel hochkrempeln. Die Hoffnung, dass diese Menschen, dass wir es sein werden, die den längeren Atem haben.