Archiv für den Monat: August 2019

Was schön war: Wo Jesus wohnt

Ausreichend vor der Zeit tragen wir ein paar Bistro-Tische auf die „Piazzetta“, den kleinen Platz vor der Dorfkapelle. Von Oktober bis März kann man sie nicht nutzen, denn dann kann man sich darin Erfrierungen zuziehen. In diesen Tagen des Sommernachschlags aber ist sie mit ihrer schlichten, frischen Kühle perfekt für ein Taizégebet. Als wir ins Gemeindezentrum zurückgehen, um auch noch ein paar Gläser zu holen, geht gerade eine Familie mit einem vielleicht gerade so Kindergarten-Kind und einem Baby im Tragetuch vorbei. Staunend bleibt der kleine Junge stehen und sieht uns beim Schleppen zu. Dann geht er weiter und erklärt seinen Eltern sehr ernst und mit lang ausgestrecktem Zeigefinger in Richtung Kirche: „Da wohnt der Jesus drin.“

Mein partner in crime preparation und ich schauen uns an und lächeln. Wir lächeln noch, als wir die Bänke in der Kapelle herumgeschleppt haben und vermuten, dass bei dem schönen Wetter die Schar der Gäste wohl nur klein sein wird. Und lächeln noch, als später alle Plätze gefüllt sind und die Menschen in den Bänken eng zusammenrücken.

Wir lächeln noch immer, als wir nach einem sehr schönen, sehr ungezwungenen und sehr fröhlichen Ausklang bei Wein Brot und Frischkäse auf der Piazzetta die Kerzen auspusten und die Bänke zurückrücken. Einen Abend lang die kirchenpolitischen Fragen kirchenpolitische Fragen sein lassen und das feiern, was die Menschen an diesem Abend zusammenbringt. Das hat der kleine Junge uns ganz unbewusst, aber überdeutlich ins Bewusstsein gerufen.

This time of the year…

Die Shorts mit den bunten Motiven und die T-Shirts mit den Fantasy-Figuren identifizieren die Gruppe Jungs, die vor mir in den Supermarkt drängelt, eindeutig als Gamer. It’s this time of the year again: Gamescom. Schon im Zug gab es Horden von Jungs – und deutlich weniger Mädchen, davon aber viele mit grünen, blauen oder pinken Haaren – die ganz hibbelig diskutierten, welche Spiele man zuerst ausprobieren müsse und wo man unbedingt die Merchandising-Produkte mitnehmen muss. Und was man sich dann kauft, oder eben auch nicht und ob es dort wohl auch T-Shirts vom Lieblingsspiel gibt und und und… die sonst so gelangweilte Pendler-Bahn bebt von der Aufregung und Vorfreude.

Im Supermarkt kaufen die Jungs Smoothies („Besser als Cola, da sind Vitamine drin“ – „Uuund Zucker“), Studentenfutter und Müsliriegel „mit extra viel Eiweiß“. An der Kasse steht ein Ständer mit den Sonnencreme-Resten der Saison. Einer streckt die Hand danach aus, die anderen lachen ihn lauthals aus. „In der Sonne verbringen wir heute ja wohl die allerwenigste Zeit.“ Und dann endet der Satz doch tatsächlich mit „…, dude“.

Von Grenzen

Da sitze ich mit der ehemaligen Arbeitskollegin, die eine Freundin geworden ist. Längst arbeiten wir beide woanders – ich in der gleichen Stadt, sie noch nicht einmal im gleichen Land wie damals. Aus Asien kommt sie gerade, macht einen Zwischenstopp, um die Schwiegerfamilie in Spe zu besuchen. Fliegt dann weiter, die Kinder in Sommercamps in zwei weiteren Ländern einsammeln, den Liebsten dazusammeln und dann auf in die neue Heimat, immerhin sind wir diesmal auf dem selben Kontinent.

Wir sehen uns selten, verfolgen die Wege der anderen – die immer ähnlichen bei mir und die weltweiten bei ihr – online, winken uns ab und an virtuell zu und genießen die wenigen Stunden beim Kaffee, beim Mittagessen oder wie heute beim Frühstück. Unausgeschlafen beide, aber nur eine gejetlagged.

Wir erzählen uns von unseren Erfahrungen, unseren Leben. Wir zeigen uns Fotos, knüpfen an gemeinsame Erinnerungen an und kommen vom Austausch der Eckdaten schnell zu Wesentlicherem. Wir gleichen unsere Erfahrungen mit Gleichberechtigung ab, staunen darüber, welche tollen Menschen und vor allem Frauen wir kennen und darüber, dass wir dazugehören, zu diesen Frauen. Wir berichten uns von Träumen und Projektideen, von kleinen Alltagsstreitereien und den große Konflikten, die entstehen, wenn unterschiedliche Weltanschauungen so aufeinanderprallen, dass der eine dem anderen die seine nicht lassen will oder kann. Wir erzählen uns von den bitteren Momenten, die man online so selten zeigen mag und davon, wie wir sie durchschritten haben. Wir lachen zusammen, bekommen Gänsehaut von dem, was die jeweils andere erzählt und zwischendurch schweigen wir einfach und genießen es, Zeit miteinander zu teilen.

Das Auftauen und Annähern überspringen wir und sind quasi direkt wieder vertraut, als hätten wir erst letzte Woche einen langen Abend miteinander verbracht. Die Grenzen, die das Leben zwischen uns legt, wir überspringen sie mühelos.

Mit den geographischen Grenzen ist das hingegen ganz anders. Mit ihrem Pass, den kein EU-Land ausgegeben hat, überwindet die Freundin die Grenzen eben nicht mühelos. Die Stempel darin erzählen die Geschichte immer nur von der Erfolgsseite, zeigen, wo Grenzen sich geöffnet haben, überwunden wurden. Sie sagen nichts darüber aus, wie sehr die weniger Privilegierten sich anstrengen müssen, um diese Grenzen zu überwinden. Sie erzählen nichts von den nagenden Fragen bei der Einreise, von der allzu oft klebrigen Neugier und den unverhohlen feindlichen Blicken.

Sie halten die bohrenden Fragen nicht fest. Nur einen Tag in unserem Land? Was wollen Sie denn hier? Haben Sie ein Ticket, mit dem Sie auch sicher wieder verschwinden? Geht das hier alles mit rechten Dingen zu? Wo waren Sie vorher? Oha, ist das nicht dieses Land in dem [hier beliebiges abwertendes Vorurteil einsetzen]? Und was haben Sie da alles dabei? Ist die Reisetasche nicht verdächtig klein oder groß? In jedem Fall verdächtig.

Als ich selbst noch zum humanitären Reiseclub gehörte, und sei es nur als Gast-Außenseiterin, war das anders. Zum einen hatte mein Pass das richtige Titelbild, zum anderen waren die Blicke eher anerkennend, so, als stünde ich auf der richtigen Seite. Heute stuft man sie als ‚Gutmensch‘ ein, eine seltsam Verrückte, die man misstrauisch beäugt.

Und die Moral von der Geschicht‘? Was weiß denn ich. Aber heute ist mal wieder einer dieser Tage, an denen ich es noch weniger verstehe als sowieso schon, wieso das Abgrenzen und Ausschließen so in Mode gekommen sind. Und an denen ich mir wünsche, dass wir Wege zueinander finden, egal ob die Grenzen geographische sind oder solche, die wir in unseren Köpfen und Herzen errichtet haben.

Was schön war

Auf dem Heimweg ins Wochenende fängt es an zu regnen. Nach den ersten schüchternen Tropfen regnet es schnell richtig. Einen lange ersehnten, kräftigen Sommerregen schüttet der Himmel aus dunklen Wolken aus.

Es riecht nach warmem Teer, nach nassem Staub und Sand. Nach Sommerflieder und gerade verblühenden Rosen. Nach Reifengummi und alter Grillkohle. Ein wenig Wind kommt auf und weht den Duft nach nassem Gras und Kräutern aus einem der Gärten herüber. Augustschwere liegt in der Luft und weckt Erinnerungen an beabsichtigte und unabsichtliche Regenspaziergänge. An nasse Haare im Gesicht und fröhliche Gesellschaft.

Ein paar Vögel krächzten empört und Möwen fliegen streitend Richtung Rhein.  Zwei Grünfinken drängeln sich unter der kleinen Haube einer Futterstation zusammen und machen sich die Körner streitig.

Noch ist das Gewitter fern und ich kann einen Umweg über Feld und Waldrand gehen. Ich packe den Schirm nicht aus und genieße das Gefühl der platzenden Regentropfen auf meinen Armen.