Archiv für den Monat: Oktober 2013

Spiel ’13

spiel13_hastebockUnd schon sind sie vorbei, die Internationalen Spieletage in Essen. Und es war wieder großartig. Der Umzug in die neuen Messehallen hat in meinen Augen und zum Glück nicht das befürchtete Plus bei der Lautstärke beschert. Dafür gab es mehr Übersicht und mehr Platz (zumindest ein bisschen).

Wir waren wieder mit Freunden und deren Kindern da und haben richtig viel gespielt. Besonders überrascht hat uns Auf Teufel komm raus aus dem Zoch Verlag. Eine richtig gelungene Kombination aus Zocken, Zufallsprinzip und schöner Gestaltung. Die Regeln sind schnell zu lernen und auch die jüngeren Mitspieler hatten Spaß.

spiel13_cappucinoGroßartig, weil einfach (in 20 Sekunden erklärt), hübsch anzusehen und sehr großer Spaß, auch für die Teetrinker in unserer Runde: Cappucino von Pegasus. Die kleinen Kaffeebecher sehen hübsch aus, sind stabil, und liegen gut in der Hand. Jeder hat eine Farbe und kann mit seinen Bechern benachbarte Kaffeebecher „fangen“, solange ihr Stapel gleich hoch oder kleiner ist als der eigene. Sobald man keine Nachbarn mehr hat, darf man den Becherstapel sichern. Wer am Ende die meisten Becher gesammelt hat, gewinnt.  Alle Daumen hoch.

Im wahrsten Sinne Sauschwer waren Holzschwein Helmut und seine Fragen beim Zoch-Verlag. Das Schwein sitzt auf einer Wippe. Die Spieler müssen Karten rechts oder links der Wippe anlegen, auf denen Gegenstände angegeben sind, deren Gewicht man schätzen muss. Am Ende jedes Zuges muss man Helmut auf die richtige Seite der Wippe schieben. Aufgelöst wird aber am Ende. Dabei kann man die eine oder andere Überraschung erleben. Wie schwer hättet ihr zum Beispiel den Sputnik-Satelliten geschätzt?* Wir lagen alle ganz schön daneben.

spiel13_teufelkommrausNatürlich haben wir nicht nur gespielt, sondern auch das Spieleregal zu Hause aufgefüllt, mit dem schon gelobten Teufelspielchen, dem supersüß anzusehenden und von allen Mitspielern gleichzeitig zu spielende Pick a Polar Bear und – für meinen Japan-begeisterten Lieblingsmitspieler – Yokaï no mori.

Last but not least musste natürlich auch ein Strategiespiel den Weg ins Rheinland antreten. Wir haben uns diesmla nicht für das aktuelle „Kennerspiel des Jahres“ entschieden (Die Legenden von Andor) und auch nicht für Amerigo von Queen Games, trotz des spannenden neuen Prinzips des Klötzchen schluckenden und nach dem Zufallsprinzip wieder ausspuckenden Turms. Stattdessen ist Terra Mystica bei uns eingezogen. Eine große, schön gestaltete Kiste, sehr viele kleine Kärtchen und eine ganze Horde Fabelwesen warten jetzt darauf, mit uns das erste große Abenteuer zu erleben. Das erste Studium der Regeln hat dazu geführt, dass wir uns die Detailvorstellung von Cliquenabend direkt mal auf Wiedervorlage gelegt haben 🙂

Wie immer ein Genuss waren natüspiel13_wuerfelrlich auch die meterlangen Würfeltische und die Halle für Rollenspieler, Fantasy-Fans und Cosplayer. Ein Augenschmaus nach dem anderen.  Hach.

Der Termin für den nächsten Spieleabend steht. Juhu!

* Der Sputnik wog ca. 83 Kilo.

 

Süß und mit Flügeln

Muffin mit einer kleinen Marzipaneule obendrauf. Mein Lieblingstestesser hat sich mal wieder Blaubeermuffins gewünscht und die kriegt er natürlich auch. Nach dem wundervollen Rezept von Miss Blueberrymuffin.

Zur Spielemesse sollten sie aber etwas, nun ja, verspielter werden. Und so habe ich ihnen kein Sahnehäubchen verpasst, sondern die Eulenanleitung von Sandras Tortenträumereien genutzt. Ich hatte keinen Fondant da und habe daher Marzipan verwendet.

Und so winken den Gewinnern (und auch alles Nicht-Gewinnern, denn bei den Spieletagen gewinnen wir am Ende immer alle 🙂 ) morgen diese wunderbaren kleinen Köstlichenkeiten zur Erholung.

Faszination Spiel

Zurzeit laufe ich im Vorfreudemodus. Denn am kommenden Wochenende fahren wir zur Spiel ’13, den Internationlen Spieletagen in Essen. Gemeinsam mit Freunden, mit denen wir uns auch regelmäßig zu Spieleabenden treffen. Dabei geht es mal strategisch zu, mal wild und mal richtig kindisch (Ich sag‘ nur Katze! Katze!) Aber immer fröhlich.

Was genau fasziniert mich am Spielen?
Ganz bestimmt nicht das Gewinnen. Das gelingt mir nur selten und meistens wissen wir am Ende des Abends eh nicht mehr, wer bei welchem Spiel welchen Platz belegt hat. Auch nicht unbedingt die geistige Herausforderung oder nur der Glücksfaktor.

Ich glaube es ist eine Mischung aus Gemeinschaft, Konzentration (zumindest manchmal) und der Kombination von Spaß und Ernst. Manchmal liebe ich die optische Gestaltung eines Spiels, bei anderen finde ich die Materalien und die Haptik klasse. Bei wieder anderen begeistert mich die Idee fast mehr als das Spiel selbst.

Einmal ist es schön, wenn jeder für sich spielt, ein andermal finde ich es großartig, in Teams zu taktieren oder als Gruppe gegen einen virtuellen Bösewicht anzutreten. Ich kann in andere Rollen schlüpfen, meine fiese Seite oder meine Teamstärke voll ausspielen, ich kann langfristig planen oder es einfach drauf ankommen lassen.  Wenn Kinder dabei sind, ist natürlich ein ganz besonderer Ehrgeiz dabei, dann will ich auch mal gewinnen. Wobei das meistens utopisch ist…. 🙂

Was ich außerdem schätze: Wir können Spieleabende (oder Nachmittage oder Tage) zwar vom Termin her planen. Wie sie sich dann entwickeln, ist aber immer eine Überraschung. Manchmal entwickeln einfache Kinderspiele eine solche Faszination, dass wir die spannenden neuen Herausforderungen in der Ecke liegen lassen und stundenlang Mäuse vor Katzen in Sicherheit bringen, Schweine in den Matsch springen lassen oder Paare suchen.

Ein anderes Mal beißen wir uns an komplizierten Regeln fest und versuchen bis ins Morgengrauen, komplizierte Aufgaben zu lösen. Dass wir dabei die Zeit vergessen, ist ein genauso wundervoller Bonus wie die ernsten Gespräche und das sinnfreie Gelächter bis das Zwerchfell streikt.

Wozu braucht es dann noch die Spieletage? Weil es viele Spiele dort nicht nur in der Fassung für Zuhause gibt, sondern auch in lebensgroßen Messeversionen. Da kommen mein Märchen- und Sagenliebhaberherz, meine Bastelfaszination und meine Leidenschaft für ausgefallene und kreative Ideen voll auf ihre Kosten. Wir können Spiele ausprobieren, die wir nicht kaufen würden, die im trubeligen Messeumfeld aber großen Spaß machen. Dabei muss man sich nicht mühsam durch die Regeln quälen, sondern kann einem der Erklärer einfach ein Loch in den Bauch fragen. Und wenn man Glück hat noch Bananen dabei verspeisen (zwei Damen aus dem Vorgebirge wissen, was ich meine, alle anderen müssen leider selber nach Essen fahren 🙂 )

Also dann: Lasset die Spiele beginnen 🙂 🙂 🙂

 

Coffee to go

Vor einiger Zeit habe ich auf dem Heimweg folgende Szene erlebt:

Vor einem kleinen Café steht ein Wegstopper – also ein Klappständer, in den man Werbung hängen kann. Er weist darauf hin, dass es hier jetzt auch „Coffee to go“ gibt. Vor dem Schild stehen zwei ältere Damen und unterhalten sich recht laut ungefähr so:
– „Kuck mal, hier gibt es jetzt auch diesen afrikanischen Kaffee.“
– „Wieso afrikanisch?“
– „Togo, das ist doch in Afrika, oder?“
– „Ja schon, aber meinst du der Kaffee schmeckt? Ich nehme ja immer den mit den arabischen Bohnen.“

Zuerst habe ich heftig geschmunzelt. Schließlich erlebe ich nicht alle Tage Dialoge, die sich auch www.belauscht.de finden könnten. Aber wenn ich seither an dem kleinen Café vorbeikomme, fällt mir immer mal wieder diese Szene ein. Und ich finde, sie ist ein ganz passendes Symbol für meine persönliche Filterbubble. Die beiden Damen haben mir, ungewollt, aber dafür sehr charmant, gezeigt, dass Dinge, die in meinem Leben, in meinem Alltag, für meine Freunde und Bekannten völlig selbstverständlich sind, für andere Menschen eine absolute Seltsamkeit darstellen. Und diese Menschen leben nicht weit entfernt, in einer anderen Stadt oder auf dem Dorf, sondern direkt um die Ecke.

Dabei geht es hier natürlich nicht nur um Kaffeekultur, englische Sprachkenntnisse oder den Unterschied zwischen Menschen unter 40 und solchen über 70. In dem kurzen Ausschnitt des Gesprächs, das ich im Vorbeigehen anhören konnte, habe ich gespürt, wie unterschiedlich die Wirklichkeit meines und ihres Lebens ist. Die eine ist dabei nicht besser oder schlechter als die andere. Aber mein Alltag scheint so verschieden, dass die beiden ihn nicht erfassen, überblicken oder ansatzweise verstehen können. Und so fremd ihnen meine Welt ist, so weit entfernt erscheint mir die ihre.

Natürlich weiß ich um die Verschiedenheiten von Lebenswelten, um die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Wirklichkeiten. Aber meistens spielt dieses Wissen eben keine Rolle in meinem Alltag. Und dann stehe ich überrascht bis verständnislos vor mancher Entscheidung von Fremden (aber auch von Bekannten) zum Beispiel bei Wahlen, beim Einkaufen und und und. Dass es nicht nur mir so geht, konnte man gerade nach der Bundestagswahl im September ja vielerorts nachlesen.

Und die Moral von der Geschicht‘?
Keine wirkliche Moral, aber immerhin eine überraschende Erkenntnis: Ich habe gemerkt, dass ich über Togo selbst kaum etwas weiß. Und beim Stöbern im Netz festgestellt, dass dort wirklich Kaffee produziert wird. Ich fürchte, dass ich nicht aus jedem Zusammenprall meiner Welt mit der Wirklichkeit außerhalb meiner Filterblase so leicht etwas lernen kann. Einen Airbag zur Abfederung solcher Situationen will ich mir deshalb trotzdem nicht zulegen.

 

 

Tri martolod

Volkslieder haben schon lange eine ganz eigentümliche Anziehungskraft auf mich. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Jugendgruppenleiterwochenende, bei dem wir abends lange auf alle möglichen europäischen Volkslieder getanzt haben: irisch, schottisch, italienisch, griechisch,… Klassiker wie Ännchen von Tharau, Der Mond ist aufgegangen oder Es war ein König in Thule finden einen festen Platz in meinem Herzen. Und ich habe wundervolle Erinnerungen an lange Urlaubsfahrten, auf denen wir als Kinder Die Mundorgel rauf und runter gesungen haben (In einen Harung jung und stramm, zwo drei vier… 🙂 )

Ganz besonders mag ich – Überraschung – bretonische Volkslieder. Vor kurzem habe ich diese hinreißende Version von Tri martolod, einem der bekanntesten Lieder aus der Bretagne entdeckt. Bekannt geworden ist es durch Alain Stivell, in Deutschland vermutlich auch durch Manau und ihren Hit La Tribu de Dana. Die Version von Didier Squiban und Yann Fanch Kemener ist zwar schon etwas älter, war aber an mir vollkommen vorbeigegangen (obwohl ich Didier Squiban schon lange kenne und mich unter anderem sehr gerne an eines seiner Konzerte in Köln erinnere).

Wenn ihr mich dieser Tage morgens mit verträumtem Grinsen und Kopfhörern am Bahnsteig stehen seht, wisst ihr, womit ich mir den Beinahe-schon-winterlichen-Schlechtwettermorgen und den Weg ins Büro versüße.

Neuer Klang

Am 5. Oktober gab es in Halberstadt bei Organ²/ASLSP einen Klangwechsel. John Cage-Fans, Musikwissenschaftler und Menschen mit einer Begeisterung für außergewöhnliche Events, wissen, wovon ich rede. Allen anderen sei kurz gesagt, dass in Halberstadt ein Musikstück aufgeführt wird, das „as slow as possible“, so langsam wie möglich, gespielt wird. Es ist auf 639 Jahre angelegt – auch wenn die Partitur nur acht Seiten hat und bei der Uraufführung in weniger als einer halben Stunde gespielt wurde. Ach ja: Das Stück begann mit einer Pause von eineinhalb Jahren.

Warum ich euch hier damit komme? Weil ich dieses Projekt immer mal wieder verfolge und es aus unterschiedlichen Gründen spannend finde, die nicht nur mit dem Werk von Cage sondern vor allem mit meinem Alltag zu tun haben:

  • In einer Zeit, in der alle über die ständig steigende Schnelllebigkeit stöhnen, gibt es Menschen, die eine solche Unternehmung wagen. Die ein Projekt umsetzen, das mit einem sehr, sehr langen Luftholen, einer 17-monatigen Phase der Konzentration begann und das – gefühlt – eine halbe Ewigkeit dauern wird. Ein Projekt, bei dem sogar die angenommene Bewegung der Finger von einer Taste zur nächsten mit mehreren Monaten berechnet wurde. Bei dem es wirklich „so langsam wie möglich“ zugeht.
  • Das Ganze findet nicht abgeschlossen und isoliert statt sondern inmitten unserer schnellebigen Zeit. Man kann das Konzert zwischendurch besuchen, es gibt Führungen und andere Begleitprogramme, Zuhörer können jederzeit von der gefühlten und vor allem gedachten Langsamkeit in der Burchardi-Kirche in die als schnell an- und wahrgenommene Außenwelt wechseln. Diese Gleichzeitigkeit von Alltag und Raum zum Innehalten, der Wechsel von verschiedenen Tempi und Wahrnehmungen, die Spannung zwischen Ausharren und Weitergehen ist in meinen Augen ein gutes Abbild vieler meiner Alltage. Sie kann mir bewusst machen, dass ich wählen kann. Sie weisen mich dann darauf hin, dass Tempowechsel notwendig, aber eben auch möglich sind. Einfach so. Mitten im Alltag, Wenn ich meine Sinne dafür schärfe.
  • Durch die physische Präsenz des Raums, der Orgel, des Klangs entsteht mehr als ein reines Symbol für Langsamkeit, Kreativität, Genie, Wahnsinn,…. Durch die sinnliche Erfahrbarkeit wird eine Idee Wirklichkeit, wird wahrhaftig, lebendig. Hier werden Menschen aus aller Welt miteinander verbunden – über Grezen von Raum und Zeit hinweg. (Um euch einzureihen, könnt ihr den aktuellen Ton hier hören.)
  • Kein einziger Zuhörer wird Anfang und Ende dieses Konzerts hören. Niemand kann wissen, ob das Konzert überhaupt beendet werden wird. Ob die Orgel lange genug hält. Ob genug Geld zusammenkommen wird, um das Ganze bis zum Ende zu finanzieren. Ob genug Menschen das Projekt am Leben erhalten möchten. Ob lange genug Frieden herrschen wird. Ob…
    Das Konzert hat etwas von dem Luther zugeschriebenen Satz vom Ende der Welt und dem Apfelbäumchen. Allein dafür: <3 <3 <3
  • Der Förderverein erklärt, das Projekt verstehe sich als ein „Versprechen in die Zukunft“. In eine Zukunft für die wir vieles tun, manches vorbereiten, anderes verhindern, aber die wir niemals mit Sicherheit werden planen können. Mit so einem Versprechen verbinden sich gute Wünsche, Bitten, Befürchtungen, Anleitungen, Fragen. Ein solches Versprechen in und an die Zukunft bedeutet auch Hoffnung; darauf, dass auch den Generationen nach uns der Sinn und das Herz für Kultur nicht fehlen wird; dass diese Menschen, die wir nicht kennen und von denen wir nichts wissen können, eine Ahnung haben werden von der Größe einer Idee, dem Charme und der Kraft ihrer Umsetzung; dass sie sich ein Auge, ein Ohr, eine innere Gewissheit bewahren für die Bedeutung von Dingen, die wir nicht vollständig überblicken und deren Wert wir noch weniger in Geld messen können.

Organ²/ASLSP ist für mich mehr als ein Versprechen. Für mich gibt es Ausdruck von einem unbedingten Vertrauen in das, was kommt. Nicht der schlechteste Wegweiser und ganz bestimmt eine der helleren Leuchten für das, was wir Zukunft nennen.

Falsche Sprache

„Hangar des Horrors“. Dreimal erwähnte der Tagesschaubeitrag diesen Namen, den die Menschen der Halle gegeben haben, in der die Leichen der ertrunkenen Flüchtlinge auf Lampedusa aufgebahrt sind. (Für alle, die nicht wissen, um welchen Fall es geht: u.a. hier gibt es eine Übersicht).

Je häufiger er fällt, desto mehr stört mich der Begriff. In meinen Augen ist die Leichenhalle  nicht der Ort des Horrors. Sie ist ein Ort der Trauer, des Innehaltens, des Mitleidens. Die Bilder der Särge, das Erzählen der Überlebenden, das hilflose Schulterzucken der Verantwortlichen machen mich fassungslos, sprachlos, unendlich traurig, hilflos. Aber ein solch unbedachtes Sprechen über das Unglück macht mich wütend.

Doch nicht der Hangar selbst ist der Ort des Schreckens. Der wirkliche Horror, das Leid, die Verzweiflung sind vielmehr dort, wo die Menschen auf den Booten alles hinter sich gelassen haben, um die unsichere Überfahrt nach Europa zu wagen. Der Horror ist auf den seeuntüchtigen Booten, in der Angst vor der Seenot, im Kampf um das Überleben. Er ist in der heil-losen Trauer, die den Überlebenden ins Gesicht geschrieben steht.

Die Rede vom „Hangar des Horrors“ tut so, als sei die provisorische Leichenhalle an sich schrecklich. Doch das ist sie nicht. Wer vom „Hangar des Horros“ spricht, stellt sein eigenes Grauen, den Schrecken der Zuschauer in den Mittelpunkt, nicht das Schicksal der Flüchtlinge. Der Begriff klingt so klein und nah, ist in Wirklichkeit aber großsprecherisch und distanziert. Er hilft nicht, das Drama zu erklären, das Leiden nahezubringen. Nein, er verharmlost den wahren Horror. Eine solche Sprache lenkt den Blick auf uns selbst, stellt unser eigenes Leiden an den Bildern in den Mittelpunkt. Sie lenkt ab von den Verstorbenen und den Überlebenden; von der verfehlten Flüchtlingspolitik Europas; von Gesetzen, die Seeleute, die Schiffbrüchigen helfen, zu Kriminellen stempeln.

Wenn sich etwas ändern soll, muss das in den Köpfen der Verantwortlichen – in unseren Köpfen und in unserer Sprache – anfangen.

Wie Yoko

Heute habe ich mir zum gemütlichen Sofa-Abend ein komplett schwarzes Schlabber-Outfit angezogen. Ganz im Sinne von Das Nuf halten wir unsere Beziehung gerne mal durch unbequeme Hosen am Leben. Ganz in schwarz bin dabei aber wohl selten. Und was sagt der Lieblings-Sofanachbar? „Du siehst so intelektuell aus. So wie bei Sartre. Oder wie Yoko Ono, nur in jünger und europäischer.“
Lektion des Tages: Unbedingt wieder Sartre lesen.

 

Und mehr schwarze Klamotten shoppen.

Ohne Worte

Erst hatte ich nur einen heftigen Schnupfen (Willkommen Herbst), jetzt ist meine Stimme fast komplett weg.

Ich neige zu Heiserkeit und es ist nicht das erste Mal, dass ich nicht mehr sprechen, sondern nur noch vorsichtig krächzen kann. Die Geschichte, wie ich am dritten Tag in meinem Auslandsstudienjahr ganz ohne Stimme beim Arzt stand und angepflaumt wurde, weil ich – haha – nicht angerufen hatte, ist nur einer der Höhepunkte.

Aber an was ich mich nie gewöhnen kann, ist etwas anderes. Das Schweigen, das ich mir nicht selbst ausgesucht habe.
Ich habe kein Poblem alleine zu sein oder in guter Gesellschaft einträchtig zu schweigen. Aber wenn ich nicht einfach ans Telefon gehen kann, weil mein Gegenüber mich vermutlich nicht versteht, weil ich mich in einer Konferenz nicht einfach zu Wort melden kann, um meine Meinung zu vertreten, weil mein Krächzen nicht durch den Raum dringen würde, weil Flüstern auch keine Lösung ist und Lutschutensilien, Schal und Tee das Ganze leider nicht schneller vorbeigehen lassen, dann fühle ich mich außer Gefecht gesetzt.

Ohne Stimme fehlt mir nicht nur eine Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen oder zu pflegen. Ich fühle mich, als fehle mir ein Teil meiner Selbstbestimmtheit, meiner Freiheit. Ein Stück von dem, was mich ausmacht. Natürlich kann ich auch mit meinen Augen, meinen Gesten, meinem Handeln (und nicht zuletzt schreibend) freundlich sein, auch wenn meine Stimme so unfreundlich und anklagend klingt wie ein sterbender Rasenmäher, den man mit einem rostigen Reibeisen gekreuzt hat.
Aber im Normalfall gehört meine Stimme, gehören mein Lachen, Schimpfen, Kichern und Murmeln, mein Vor-dem-Spiegel-vor-mich-Hinsummen und das wohlige Seufzen, wenn ich nach einem langen Tag auf den seltenen hohen Hacken meine Schuhe ausziehen kann, so sehr zu mir, dass ich immer wieder darüber stolpere, wenn all das eben nicht geht.

Natürlich geht meine Heiserkeit in einigen Tagen wieder vorbei. Selbstverständlich bin ich nicht „wortlos“ und Vieles hiervon ist ganz schön „mimimi“. Aber ich merke zurzeit, wie viel ich im Alltag selbstverständlich als gegeben hinnehme. Und ich nehme mir fest vor, dass das Erste, was ich wieder mit meiner Stimme sagen kann, kein Vorwurf, kein sarkastischer Spruch und kein unbedacht dahingesagtes Blabla sein wird. Sondern ein Dankschön, ein Lachen oder ein Trost. Wenn ihr wollt, dürft ihr mich gerne auch später mal ab und an daran erinnern.

Bis dahin nehmt euch ein Beispiel an meiner französischen Mitbewohnerin Christelle. Die hatte bei oben schon erwähntem Stimmausfall ein Schild an meine Zimmertür geklebt. Darauf erklärte sie den Nachbarn, die sich bei ihr beschwerten, dass die Neue nicht zurückgrüßt: „Hier wohnt Esther. Sie ist nicht unhöflich, nur heiser.“

PS: Wer den Namen „Revoice“ für ein Heiserkeitsbekämpfungsdragee erfunden hat, gehört für mich zusammen mit den Schöpfern von „DNAge“ und „Pro Keratin Power Kera Recharge“  in einen dunklen Raum voller Spinnen gesperrt, wo ihnen diese Namen so lange vorgelesen werden, bis sie glaubhaft versprechen, so etwas nie (nie! NIE!) wieder zu tun. 🙂

PPS: Wer mir Hausmittel gegen Heiserkeit empfehlen will − Danke, aber nein danke. Schließlich waren schon ungefähr 5 Dutzend Zeitgenossen schneller.