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Bayern vor der Wahl

In Augsburg regnet es in Strömen und ich komme aufgrund von Sperrungen und Umwegen durch die Baustelle am Bahnhof irgendwo heraus, wo die Freundin, die mich abholt, nicht ist. Gelobt sei der Erfinder der Smartphones, denn bevor ich zum dritten Mal an diesem Tag völlig durchweiche, ist das Auto da. Zur gemeinsamen Planungs-Spätschicht gibt es Wasser und einen richtig guten Single-Malt-Whisky. Ein liebevoll gerichtetes Gästezimmer und richtig guten Kaffee und eine frische Brezel zum Frühstück.

In Neuburg begrüßen uns am nächsten Morgen drei gemütlich wiederkäuende Alpakas und viele strahlende Gesichter. Wir sprechen darüber, wie die Tiere den alten Menschen auf einer Pflegestation gut tun, was man tun kann, damit Menschen, die aufgrund ihres Alters und ihrer Krankheiten nur noch einen sehr begrenzten Lebens- und Erfahrungsraum haben, teilhaben können an unserer Welt, am Leben außerhalb ihres Krankenzimmers. Ich treffe Menschen, die ihren Alltag damit verbringen, sich für andere einzusetzen, die gemeinsam nach Lösungen für Probleme suchen – die die Probleme sehen und erkennen und nicht jammern und schimpfen, sondern an- und zupacken.

Im Nachbarraum sitzt eine Gruppe von Männern und Frauen zusammen. Die Nähmaschinen surren, es entstehen Patchworkarbeiten, Quilts und kleine Dekostücke, die sie beim Weihnachtsbasar für einen guten Zweck – für Menschen in Not – verkaufen werden.Blauer Hmmel mit zahlreichen weiße Wolken über einer grünen Wiese

Am Abend sitze ich in einer fröhlichen Frauenrunde in Passau. Es gibt Tee und Bier und gute Gespräche. Die Frauen haben im Sommer 2015 gesehen, was gebraucht wird und einen Teil ihres Anwesens, in dem sie vorher Gäste empfingen,  geöffnet; nun wohnen dort acht geflüchtete Frauen und sechs Kinder. Leicht gefallen ist ihnen das anfangs nicht und vom Zerrbild der romantisierenden Heldinnen, die die Probleme vor lauter rosaroter Billen nicht sehen wollen oder können, sind sie weit entfernt. Ganz offen und sehr aufrichtig erzählen sie von ihren Erfahrungen in den vergangenen Jahren. Den guten und den schweren. Den enttäuschten Hoffnungen und denen, die sich erfüllt haben. Von den Anstrengungen, die es bedeutet, wenn Menschen, die sich eigentlich auf einen ruhigeren Lebensabschnitt eingerichtet hatten, im Rentenalter noch einmal eine solche Herausforderung meistern. Von den Glücksmomenten, die entstehen, wenn man sich trotz fehlender gemeinsamer Sprache verständigen kann, wenn man gemeinsam kocht und isst, Weihnachtslieder singt oder eine junge Schwangere zur Entbindung begleitet.

Die jungen Frauen aus aller Herren Länder berichten in einem wilden Mischmasch aus Deutsch, Englisch und Arabisch das Gleiche. Von furchtbaren Erfahrungen auf der Flucht, von dem Moment, wo sie sich zu Hause, angekommen fühlen durften. Von der Hilfsbereitschaft der Nachbarinnen, wenn eines der Kinder sich die Knie aufschlägt oder ein Brief ankommt, den sie nicht verstehen. Von Kochrezepten aus der Heimat und solchen, die sie neu kennengelernt haben. Kinder klettern mir auf den Schoß und sind fasziniert von meiner Brille und dem Anhänger an meiner Halskette, so, als hätten sie nie Krieg und Gewalt erlebt.

Auf dem Rückweg dann ein Unwetter und stundenlange Verspätung in der Bahn. Menschen, die sich zu Fahrgemeinschaften verabreden, sich gegenseitig Kopfhörer zustecken, um die Wartezeit mit Musik zu verkürzen, Bücher, die hin und her gereicht werden, weil einer sie ausgelesen hat und die andere sie gerne anlesen würde. Geteilte Butterbrote und Wasserflaschen, da es im Bordbistro nichts mehr zu kaufen gibt.

In all dem: Kein Wort über die Wahl.

Aber am Ende des langen Wochenendes ein wenig mehr Hoffnung, dass da unter der lauten, krawalligen, menschenfeindlichen Oberfläche, hinter den Fassaden mit den immergleichen Politikerplakaten mit den austauschbaren Wahlversprechen, hinter den beängstigenden Umfragewerten und gebrüllten Parolen, dass da Menschen sind, denen komplexe Zusammenhänge nicht zu kompliziert sind. Menschen, die bereit sind, etwas von sich selbst einzusetzen für andere, egal wer sie sind, woher sie kommen und wie gesund oder krank sie sind. Menschen, die da sein werden, auch wenn das gesellschaftliche Klima noch rauer wird. Die es aushalten können und wollen, wenn andere anderer Meinung sind, weil sie die Grundhaltung sehen und suchen, die uns alle verbindet. Die Kritik äußern, dabei aber sachlich bleiben. Die sich dem Dialog nicht entziehen und immer wieder neu die Ärmel hochkrempeln. Die Hoffnung, dass diese Menschen, dass wir es sein werden, die den längeren Atem haben.

Wir sind viele

Als wir ankommen, ist der Roncalliplatz schon voll. Voller fröhlicher Menschen. Voller bunter Fahnen, Plakate und Seifenblasen. Menschen von jung bis alt, von klein bis groß, von alternativ bis bürgerlich.

Ein breites Bündnis gegen Hass und für Solidarität und Mitmenschlichkeit. Viele verschiedene Meinungen – eine gemeinsame Haltung.

Am Ende sind es rund 10.000 Menschen, die gemeinsam feiern, singen, und vor allem Gesicht zeigen #kölnstehtzusammen

Was so einfach und überzeugend klingt, ist es für mich nicht. Ich bin keine Freundin großer Menschenmengen. Eine solche Demo liegt außerhalb dessen, was man heute „Komfortzone“ nennt. Ich war nicht oft demonstrieren – in den 90ern gab es Lichterketten auch am Fuß des Schwarzwalds und als junge Journalistin habe ich über eine NPD-Demo in dem damals wie heute beschaulichen Kleinstädtchen berichtet. Und dann kam lange kaum etwas bis zur Demo für Meinungsfreiheit nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo.

Ich war keine von denen, die immer vorweg auf die Straße gingen. Der direkte Dialog, auch mit Kommilitonen, Kolleginnen und Kollegen, Bekannten und Freunden, die anderer Meinung waren (und sind), ist mehr meine Sache. Diesen Dialog führe ich noch immer. Und doch überwinde ich mich immer öfter, selbst auf die Straße zu gehen. Mit dem Pulse of Europe, der Seebrücke und eben jetzt mit #kölnstehtzusammen.

Denn mir machen die Bilder Mut, die zeigen, dass es wirklich eine Mehrheit für Menschlichkeit, Menschenwürde und Solidarität gibt. Dass wir viele sind, die nicht zulassen wollen, dass der Hass gewinnt, die Vernunft unter Aggression begraben wird, Menschen nicht mehr als Menschen anerkannt und respektiert werden. Und so waren der Lieblingsmensch und ich heute zwei von am Ende 12.000 Menschen in Köln, die gezeigt haben: #wirsindmehr

Sich sichtbar machen ist anstrengend, es kostet Kraft und Zeit, Geduld und Vertrauen. Aber wenn ich nicht bereit bin, das für eine offene und freie Gesellschaft einzusetzen, wird es die irgendwann vielleicht nicht mehr geben.

Links gegen das Schweigen XIX

Heute gibt es eine kurze, aber dafür wichtige Ausgabe der Links gegen das Schweigen, in der sich alles um Integration dreht.

Schild vor einem Café in Köln: Heute empfehlen wir Dialoge!

Wie geht das eigentlich konkret, das mit dem Einleben? Geht das überhaupt? Und was können wir dazu beitragen? Vanessa Giese hat da ein kleines, aber eindrückliches Beispiel aufgeschrieben.

Auch bei Mennory gibt es einen Einblick in den Integrationsalltag – hier einmal von Menschen, die schon länger bei uns leben.

Der britisch-kanadische Autor Doug Saunders beschäftigt sich schon lange mit Migration und Integration. Im Deutschlandfunk hat er am vergangenen Wochenende viele interessante und in der aktuellen Abwehrdebatte durchaus ermutigende Dinge gesagt. Zum Nachlesen.

Über eine Studie zum Thema Integration in den USA und Frankreich kommen die Autoren zu dem Schluss: „Das Ergebnis ist eindeutig: Die Muslime erfahren mehr Ausgrenzung, verstärken diese aber auch eher als die christlichen Migranten. Neben interessanten Einzelerkenntnissen bringt die Studie vor allem eine überzeugende Hauptthese: In Frankreich herrsche ein „Gleichgewicht der Diskriminierung“. Die Mehrheitsgesellschaft lehnt muslimische Einwanderer ab, worauf diese mit Verhaltensweisen antwortet, welche die Ablehnung steigern – ein sich selbst verstärkender Kreislauf.“ Die Süddeutsche Zeitung schildert die Ergebnisse der Studie ausführlich und angenehm unaufgeregt.

Dass es auch andere, komplexere Integrationshemmnisse gibt als die Religion, beschreibt Irene Amina Rayan bei den Krautreportern.

Im Migazin beleuchtet Sevim Dagdelen eine andere Seite der Medaille und zeigt auf, dass es die große Zahl der oft benannten „Integrationsverweigerer“ gar nicht in der Form gibt, die die öffentliche Meinung dominiert.

Oft wird bestritten, dass Integration überhaupt gelingen kann. Dass das auch mit der Enge unserer Filterblasen zu tun hat, beschreibt Christine von Mama arbeitet an verschiedenen Beispielen, unter anderem auch am Beispiel Rassismus.

Dass solche Vorurteile sich im Integrationsalltag manchmal schneller in Luft auflösen, als sich mancher das anfangs gedacht hatte, zeigt das Beispiel Sumte, wo man heute fast schon die Flüchtlinge vermisst.

Und noch ein Vorurteil, das sich bei näherer Betrachtung auflöst – oder gar ins Gegenteil umkehrt. Das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat herausgefunden, dass es keinesfalls so ist, dass Deutschland sich die Integration der Geflüchteten nicht leisten kann. Vielmehr würde es Millionen kosten, wenn wir die Integration nicht angehen. Wenn uns diese Aufgabe jedoch gelingt, können die Staatskassen sich über deutlich höhere Einnahmen in der Zukunft freuen. Auch das könnt ihr im Migazin einleuchtend dargestellt nachlesen.

Zum Schluss noch ein Link zum Thema Ramadan. Doch, ja, da kann man auch über Integration sprechen. Es ist eben wirklich kompliziert. Aber in den Begegnungen von Mensch zu Mensch ist es dann doch manchmal wiederum ganz einfach.

Links gegen das Schweigen XVIII

Besetztes Haus in Köln mit Bettlaken mit der Aufschrift Refugees welcome

Hass verhindert Empathie und hilft denen, die die Gesellschaft spalten wollen. Doch was kann man dagegen tun? Antworten auf diese Frage und ein Plädoyer für „Versachlichung und Engelsgeduld“ schreibt Ingrid Brodnig sehr sachlich und lesenswert.

Über den Hass in sozialen Medien und die Frage, warum dieser viral wird, spricht Roland Panter im Interview.

Margarete Stokowski schreibt einen Brief an einen Hater.

Ein Bild des friedlichen Widerstands aus Schweden. In meiner Timeline wurde es oft geteilt. Als Vorbild, Mutmacher, Bewusstseinsbildner. Daher auch heute hier.

Perspektivwechsel: Deutschland aus der Sicht eines Menschen, der hier Fuß fassen möchte und einiges dafür tut.

Noch ein Perspektivwechsel: Pater Klaus Mertes SJ berichtet von der Kluft zwischen Integrationsprojektideenentwicklern und Umsetzern an der Basis.

Und zum Schluss ein Longread zum Thema Narrative und der Frage, wie Medien und der öffentliche Diskurs Bilder über „den Islam“ prägen.

Begegnungen mit völlig fremden Menschen

Hast du eigentlich keine Angst vor den Fremden, die jetzt hier sind? – fragte mich neulich eine Bekannte. Nein, habe ich nicht. Wieso auch. Begegnung mit Neuem, Unbekanntem, mit Menschen, die ich nicht kenne, sehe ich als Möglichkeit, Neues zu lernen, bereichernde Begegnungen zu machen, etwas vom Zauber des Gemeinsamen zu erfahren. Als ich kürzlich mit Freundinnen in Nordfrankreich und Belgien unterwegs war, haben mir gleich mehrere Begegnungen mit völlig fremden Menschen gezeigt, dass es nicht nur mir so geht.

Ihr seid ja keine Flüchtlinge, mögt ihr mir jetzt entgegenhalten. Ich sehe da aber grundsätzlich erstmal keinen Unterschied. Menschen, die irgendwo fremd sind, die die Sprache nicht oder nicht perfekt sprechen, die neugierig sind und vermutlich das ein oder andere falsch verstehen oder falsch machen, waren wir allemal. Und welche Hautfarbe, welches Heimatland oder was-weiß-denn-ich-was-Menschen-noch-unterscheiden-kann man auch haben und in eine Begegnung mitbringen mag, ist doch im Endeffekt egal, wenn es darum geht, sich von Mensch zu Mensch zu begegnen.

Das sahen Menschen, die wir unterwegs getroffen haben, wohl genauso. Und öffneten uns wie selbstverständlich ihre Häuser und Gärten, ihr Ohr und ihr Herz. Da war die freundliche Künstlerin, die in Lüttich in dem Haus wohnt, in dem Mary Ward und die ersten Gefährtinnen gelebt haben. Sie hat sich sehr gefreut, dass da Frauen allen Alters Interesse an der Geschichte des Anwesens hatten, das seit mehr als 130 Jahren im Besitz ihrer Familie ist. Wir wurden großzügig bewirtet und schon nach kurzer Zeit entstanden Gespräche, die weit über oberflächliche Betrachtungen und die Beschreibung architektonischer Besonderheiten hinausgingen. Wir tauschten Familiengeschichten aus und erzählten uns von Dingen, die für die jeweils andere wesentlich sind. Am Ende waren wir alle gerührt und im Herzen bewegt.

Tisch mit Getränken und Waffeln in einem Garten in Lüttich

Bei einem Unfall in St. Omer waren sofort Menschen da, die uns halfen, die den Rettungsdienst riefen, ihre Jacken zum Wärmen der gestürzten Freundin auszogen. Die Rettungsassistenten und das Krankenhauspersonal, mit denen wir es zu tun bekamen, waren nicht nur kompetent, sondern eben auch ehrlich freundlich. Berücksichtigten die Situation, dass da eine Touristin in der Fremde verunglückte, erklärten alles mitten im größten Notaufnahme-Stress mit einer unglaublichen Geduld, überwanden Sprachbarrieren mit Lächeln statt mit Ungeduld und machten die ganze Situation allein durch ihre Freundlichkeit besser erträglich.

Kathedrale von St. Omer

Und so reihten sich überraschende Begegnungen, die über bloße Dienstleistungsfreundlichkeit hinausgingen, die echte Kontakte auf einer zutiefst menschlichen Ebene waren, aneinander wie auf einer glitzernden Perlenkette.

Ich habe mich sehr über diese Begegnungen gefreut. Und hoffe, dass Menschen, die hier bei uns neu und völlig fremd sind, auch solche Erfahrungen machen. Wenn uns das gelingt, gehen wir alle bereichert aus diesen Begegnungen hervor. Ich drücke uns allen die Daumen.

Links gegen das Schweigen XVII

heute-empfehlen-wir-wertschaetzung

Wie wird man eigentlich ein Fascho? Der Versuch einer Antwort auf diesen Frage, ist zwar schon ein paar Wochen alt, aber noch immer lesenswert.

Noch älter, nämlich schon aus dem letzten Sommer, ist dieser Text, der aufzeigt, dass wir alle Vorurteile haben, auch rassistische. Und dass es darauf ankommt, wie wir damit umgehen.

Und während alle über Obama in Hannover diskutieren, lese ich einen älteren Text nach, der die Frage, ob wir es beim Bekämpfen des Hasses mit einem Staatsversagen zu tun haben, vereint.

Sicher ist aber, dass sich ohne Einsatz derer, die davon überzeugt sind, dass Hass und Gewalt keine Lösung sein können, nichts zum Guten ändern wird. La vie vagabonde zeigt, dass wir längst über „wehret den Anfängen“ hinaus sind, aber auch Beispiele für Menschen, die viel dafür tun, dass die Menschlichkeit überwiegt.

Andererseits ist in Freital lange Zeit unbemerkt eine weitere Terrorzelle gewachsen. Endlich wird sie auch so genannt und also solche verfolgt. Es hat lange – in meinen Augen viel zu lange – gedauert, bis es so weit war.

Um einen der Täter, gegen den jetzt wegen Terrors ermittelt wird, geht es auch in diesem Text aus dem Februar, der der Frage nachgeht, wer diejenigen sind, die Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte planen und verüben.

Ganz anders in Sumte. Dort hatte sich die Aufregung um die große Zahl von Flüchtlingen in einem kleinen Dorf schnell gelegt. Und heute, wo die Zahl der Bewohner der Flüchtlingsunterkunft deutlich zurückgegangen ist, vermissen die Bewohner die Asylbewerber. Es ist kaum zu fassen, wie sehr Angst und Panik den Blick verstellen können.

Wer sind diese Menschen, die unsere neuen Nachbarn sind und werden? Ein Blog gibt einigen der Neubürgern die Möglichkeit, sich vorzustellen. Es lohnt sich, dort öfter oder länger vorbeizuschauen.

Martin Gommel ist in Idomeni und zeigt und beeindruckende Bilder und Geschichten.

Und bis zum 2. Mai könnt ihr für die Aktion Hass hilft voten, die bei The BOBS – Best of Online Activism nominiert sind.

 

Links gegen das Schweigen XVI

Die letzte Sammlung ist ein wenig her, daher bekommt ihr heute eine Mischung aus aktuellen und älteren Links. Man hat so leicht das Gefühl, dass alles so schnell vorbeigeht und sich ständig ändert. Bei genauerem Hinsehen bleiben einige Erkenntnisse aber gültig, auch wenn die akute Lage in Idomeni oder Calais oder… ein wenig verändert hat.

Besetztes Haus in Köln mit Bettlaken mit der Aufschrift Refugees welcome

Man kann auch das Gefühl bekommen, dass wir alle langsam abstumpfen bei den vielen Meldungen von leidenden Menschen auf der einen und ängstlichen auf der anderen. Oliver Trenkamp plädiert auf SPON dafür, das eigene Mitgefühl nicht zu dimmen und denjenigen, die genau das immer wieder fordern, aktive Hilfe entgegenzusetzen.

Aktiv werden, sich äußern gegen diejenigen, die Mitgefühl nicht nur ablehnen, sondern aktiv bekämpfen, ist manchmal auch an Orten notwendig, an denen man es nicht auf den ersten Blick vermuten würde. In Hamburg-Blankenese zum Beispiel.

Menschen wir Frau K. tun das. Und Zoë Beck erzählt uns davon in bewegenden Worten.

Dirk V. hat auch geholfen. Bis über die eigenen Belastungsgrenzen hinaus. Er ist bekannt geworden durch einen Tweet, der den Tod eines Flüchtlings vom LaGeSo in Berlin meldete und der sich als falsch herausstellte. Der Tagesspiegel hat mit ihm gesprochen und es lohnt sich, den Text langsam und gerne auch zweimal zu lesen.

Die Zahl der Uno-Flüchtlinsghilfe stammt aus dem Februar, ist aber vermutlich immer noch aktuell: Jeden Tag ertrinken zwei Kinder im Mittelmeer. Jeden verdammten Tag. Also auch gestern. und heute. Und morgen. Und übermorgen. Die Nachricht schafft es aber schon lange nicht mehr auf die Titelseiten oder überhaupt in relevante Positionen der Berichterstattung.

Doch verzweifeln gilt nicht. Und zum Glück gibt es ja auch die andere Seite. Julia Schönborn zeigt, dass er längst da ist, der Aufstand der Anständigen.

Jagoda Marinic beschreibt in der taz ebenfalls, warum es nötig ist, klare Worte zu finden für die Anstand und gegen Rassismus.

Dass ein solches konkretes Engagement für Geflüchtete Früchte trägt, auch wenn es eben nicht immer einfach ist, erläutert Sr. Sabine Adam, Provinzoberin der Congregatio Jesu, in einem Interview.

Und schließlich: Wenn man sich auf konkrete Begegnungen einlässt, kann man erstaunliche und ganz wunderbare Dinge erleben.

Gegensätze und Unverständnis: Zäune in Calais

Holzzaun am Strand von CalaisRomantisch sehen sie aus. Ein wenig nach Frühling am Meer. Von der Sonne beschienen. Eine Verheißung für warme Badetage. Die Zäune am Strand von Calais. Aufhalten sollen sie höchstens das Verwehen des Sandes. Vielleicht stoppen sie ein Handtuch oder eine Strandmuschel vom endgültigen Davonfliegen. Vor allem aber sehen sie malerisch aus.

Strand von Calais mit Holzzaun und Fußgängern im Sonnenschein

Detail eines Holzzauns am Strand von Calais

Holzzaun in der Sonne am Strand vor Calais

Nur wenige hundert Meter entfernt sehen die Zäune ganz anders aus. Meterhoch. Aus stabilem Stahl. Mit Abschlüssen aus Natodraht. Ich war nicht geistesgegenwärtig genug, die Zäune am Fähranleger zu fotografieren. Zu beeindruckend, zu beklemmend, zu sehr zu leidenschaftlichem Widerspruch herausfordernd waren die Zäune für mich. Immer noch. Immer wieder. Daher gibt es nur einige Eindrücke aus dem Busfenster von der Schnellstraße, einige Kilometer entfernt.  Die Zäune verändern die Landschaft. Und unser Bild von Europa. Unsere Idee von Menschlichkeit. Und dann haben wir vom „Dschungel“ von Calais noch gar nicht geredet.

Grenzzäune an der Schnellstraße nach Calais

Grenzzäune rund um Calais

Meterhohe Grenzzäune bei Calais in Nordfrankreich

Wieder etwas weiter, einige Kilometer gen Westen an der Küste entlang, am Cap Gris-Nez schon wieder Zäune. Auch diese sollen Menschen abhalten. Davon, auf die Wiesen am Rande der Klippe zu gehen. Sie verhindern, dass die Besucher die Grasnarbe zerstören und die Erosion der von Wind und Wellen angegriffenen Küste befördern. Die Zäune sind hüfthoch, manche nur knöchelhoch. Draht, ja. Aber natürlich kein Natodraht, wo kämen wir denn da hin. Wo es mannshohe Holzzäune gibt, sollen sie vor allem gut in die Landschaft passen.

kleiner Zaun am Cap Gris-Nez

knöchelhoher Draht, um Touristen von der Wiese am Cap Gris-Nez fernzuhalten

Malerischer Holzzaun als Fußwegbegrenzung am Cap Gris-Nez

Am Cap Gris-Nez gibt es zahlreiche Bunker und Überreste der deutschen Belagerung zu sehen. Sie haben die Landschaft langfristig verändert. In Calais sind die Zäune zwar leichter abbaubar, doch fürchte ich, dass diese Art der Abschottung die Landschaft ebenfalls nachhaltig verändert. Und diesmal nicht nur die natürliche, sondern auch die politische und gesellschaftliche Landschaft.

Diese Art der Abschottung zeigt, wie sehr sich unsere Gesellschaft verändert. Wie sehr uns die Angst – vor „dem Fremden“ und „den Fremden“, vor verunsicherten Wählern und überhaupt vor Veränderungen – vor sich hertreibt.

Ich habe in den vergangenen Monaten vor einigen verschlossenen Grenzen gestanden. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, Geflüchteten, Helfern, politisch Verantwortlichen. Ich habe mit dem Kopf gedacht und mit dem Herzen gefühlt. Ich habe es wirklich versucht. Aber am Ende des Tages stehe ich wieder vor einem Zaun und verstehe es einfach nicht.

Links gegen das Schweigen XV

In den vergangenen zwei Wochen habe ich wieder mehrere Flüchtlingshilfe-Einrichtungen besucht. Und habe dort vor allem eines getroffen: Menschen.

Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen alles hinter sich gelassen haben. Menschen, die nicht mehr retten konnten, als ihr Leben. Menschen, die Dinge erlebt haben, die sich kaum in Worte fassen lassen. Menschen, die trauern um Freunde, Verwandte, ihr einfaches, aber gutes Leben mit einem Heim, Familie und Freunden. Menschen, die Heimweh haben und versuchen, in der neu gefundenen Sicherheit Fuß zu fassen, neue Hoffnung zu gewinnen und ein neues Leben aufzubauen.

Ich habe Menschen getroffen, die die Ärmel hochkrempeln. Die längst nicht mit allen politischen Entscheidungen einverstanden und erst recht nicht immer einer Meinung sind, die aber sehen, dass ihre Hilfe gebraucht wird. Und die dann genau das tun: Helfen."Refugees welcome" auf einer Betonmauer aufgesprüht

Umso unverständlicher ist für mich das, was ich unterwegs auch gehört habe und was in den vergangenen Tagen wieder stärker in die Schlagzeilen gerückt ist: Hass gegen Menschen. Wie kann man Menschen anspucken, ihnen tote Tiere vor die Wohnungstür legen? Wie kann man Hassparolen in Kindergesichter schreien? Wie kann man Brandanschläge planen und durchführen gegen die Wohnungen von Menschen?

Und wie können wir dafür sorgen, dass eben solche Dinge nicht mehr geschehen? Wie können wir, wie kann ich dazu beitragen, dass Menschen wieder als Mitmenschen gesehen werden, egal, woher sie kommen? Wie können wir Menschen klar machen, dass wir ihre Sorgen und Ängste ernst nehmen – wenn sie diese sachlich äußern? Und dass Gewalt nicht akzeptabel ist. Keine Gewalt. Von niemanden. An niemandem.

Der sächsische Innenminister Tillich schießt jedenfalls weit über das Ziel hinaus, wenn er dem wütenden Mob in Clausnitz das Menschsein abspricht und sagt: „Das sind keine Menschen, die sowas tun. Das sind Verbrecher.“ Sie sind eben Menschen und wir müssen und mit ihnen auseinandersetzen. Sich gegenseitig zu dämonisieren hilft nicht. Im Gegenteil.

Einige wichtige Fragen zum Thema stellt sich auch das Nuf.

Karlo Tobler hat sich in #Clausnitz ein eigenes Bild gemacht.

Andere finden kreative Möglichkeiten, auf falsche Infos und Hass hinzuweisen.

Und Hass hilft macht die wütenden rassistischen Proteste unfreiwilliger Weise zu Spenden.

Murat Suner denkt klug und ausführlich nach über die Entmenschlichung und die antidemokratische Haltung, die hinter Protesten wie denen in Clausnitz steht.

Derweil kann der Innenminister – ganz im Gegensatz zu mir – verstehen, warum die Polizei die Flüchtlinge teilweise mit Gewalt in ihre Unterkunft brachte. Sich als Chef vor seine Mitarbeiter zu stellen, kann eine gute Sache sein. Hier verstehe ich die Haltung einfach nicht.

Tilmann Baumgärtel zeigt in der taz auf, wie normale Bürger zum Online-Lynchmob werden (und greift dabei spannender Weise auf Erkenntnisse von Gustave Le Bon aus dem Ende des 19. Jahrhunderts zurück).

Martin Gommel war in Griechenland und berichtet unter anderem über die „Hotspots“ und warum er sie für besorgniserregend hält.

Lucie Marshall lädt für Mittwoch zu einem Abend mit Annette Frier und Ivan Vrgoč ein. Was das mit unserem Thema hier zu tun hat? Erfahrt ihr dort.

Dass Rassismus und Hass sich auch hinter ganz anderen Fassaden als der des „besorgten Bürgers“ (ich halte den Hohn in dieser Formulierung an manchen Tagen kaum aus) verbergen kann, zeigt Volker König am Beispiel des Tierschutzes.

Schon aus dem Januar, aber immer noch aktuell: Ein Plädoyer für Solidarität und Miteinander.

Einblicke in die aktuelle Diskussion um Flüchtlingshilfe in Europa und weltweit – vor allem im Vorfeld des World Humanitarian Summit in Istanbul – gab das Expertengespräch im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe am vergangenen Mittwoch. Ich durfte dort meinen Arbeitgeber vertreten. Aber selbstverständlich lohnt es sich auch aus anderen Gründen, einiges nachzuhören und zu -lesen.

Navid Kermani und Alfred Grosser reden hingegen der Hoffnung das Wort. Das Buch steht auf meiner Leseliste jetzt weit oben.

Auch zum Hoffen: Kostenlose Online-Kurse für ehrenamtliche Deutschlehrerinnen und -lehrer.

Links gegen das Schweigen XIII

Ich habe überlegt, ob ich diese Rubrik umbenennen soll. Seit #koelnhbf schweigt niemand mehr. Ganz im Gegenteil. Jede und jeder scheint etwas zu sagen zu haben. Und viele von ihnen sind dabei vor allem eines: laut.

Vernünftige, differenzierte Stimmen haben es immer schwerer, durchzudringen, wahrgenommen zu werden. Und manche verstummen ganz im Angesicht des Geschreis, des Hasses, des Wahnsinns. Darum auch heute wieder: Links gegen das Schweigen.

Und weil in all dem Geschrei die Geschichten derjenigen zu kurz kommen, die schreckliches erlitten, ihre Heimat, Familie, Freunde, ihr Leben verloren haben, stehen ihre Geschichten diesmal am Anfang. Zum Beispiel die Bilder, die syrische Kinder fern ihrer Heimat gemalt haben.

Martin Gommel berichtet von Menschen auf der Flucht und ihren Helferinnen und Helfern. Ich habe ihn schon mehrfach verlinkt. Falls ihr seine Fotos und Berichte noch nicht kennt, fangt zum Beispiel mit diesem Portrait eines Mannes aus Afghanistan an. Oder mit der Geschichte von Yasser.

Martin war auch in Berlin vor dem #Lageso. Es gibt mehrere Bericht von dort, sie sind alle bestürzend. Das alles geschieht hier, mitten in Deutschland. Und egal, welcher Meinung man politisch sein mag: Dass man Menschen in Not nicht hilft, kann in meinen Augen keine Alternative sein.

Dass jemand sich Sorgen macht und nicht alles eitel Sonnenschein ist, weder für die Refugees noch für andere Menschen in Not, in Deutschland und anderswo – geschenkt. Dass wir alle (ja, wir alle) etwas tun müssen, damit die Verhältnisse sich verbessern, nicht nur für die Neubürger, sondern für alle, die benachteiligt sind – sagt sich einfach, ist aber eine Mammutaufgabe, die es jetzt anzugehen gilt, je schneller, je lieber. Dass wir dabei streiten müssen (mit Worten!) – selbstverständlich. Aber mit gezinkten Karten zu spielen und mit Lügen Stimmungen zu schüren ist einfach unwürdig. Der Beispiele gibt es viele. Viel zu viele.

Da tun gemäßigte Worte gut. Von Bundesrichter Thomas Fischer zum Beispiel (dessen Kolumne in der Zeit ihr vermutlich sowieso alle kennt, aber nur für den Fall der Fälle – und weil sie wirklich besonders gut ist – erscheint sie auch hier). Und deutliche Worte. Gerne auch suchende, fragende, um- und einkreisende Worte. Und natürlich klare Worte (ja, hier verlinke ich Sascha Lobo – mal wieder. Und ihr habt das vermutlich alle schon gelesen. Mal wieder. Trotzdem. Gerade darum.)

Worte helfen also manchmal, das richtige nicht nur zu denken, sondern auch zu tun. Bilder übrigens auch.