800 Meter in Pasing

Auf der Straße kommen mir zwei Kinder entgegen gerannt. Atemlos spielen sie fangen. Einer der Jungen versteckt sich hinter mir und kichert dabei so sehr, dass er sich an meinem Bein festhalten muss, um nicht umzufallen. Ich muss lachen, denn dabei kitzelt er mich in der Kniekehle. Zwei junge Männer und zwei junge Frauen kommen den beiden nachgelaufen. „Entschuldigung, Entschuldigung“, rufen sie schon ein paar Meter entfernt. „Aber warum denn“, frage ich. „Ich habe es nicht eilig und freue mich über die fröhlichen Jungs“ lächle ich. „Wir sind so – äh – froh – froh sagt man, nicht?“ – sagt eine der Frauen. Sie trägt ein kunstvoll zum Turban geschlungenes Kopftuch und lächelt ein wenig schüchtern. „Froh“, sage ich, „genau“. „Als Baby hat er immer nur geweint“, sagt einer der Männer. Er tritt heran und nimmt vorsichtig die Hand der Frau. „Krieg, Aleppo“, sagt er. Ich nicke. „Wie schön, dass Sie hier in Sicherheit sind“, sage ich und fast entsteht ein Gespräch, aber die beiden Wirbelwinde finden das Gerede der Erwachsenen langweilig. Längst sind sie weitergerannt und kommen nun mit empörten Gesichtern zurück. „Schneller, schneller“, rufen sie und „fangen, schneller fangen“. Schon düsen sie wieder los, die Erwachsenen im Eilschritt hinterher.

Auf dem Marienplatz haben die Bäumchen in den rot gewandeten Bottichen längst alle Blätter abgeworfen. Im Sommer wirkten sie in ihrer Blätterpracht schon fast wie ausgewachsene Bäume, als ich in ihrem Schatten lesend schöner gewartet habe als am zugigen Bahnhof. Nun stehen die Stühle unter ihnen leer und stumm herum, einige sind so zueinander gedreht, dass man meinen könnte, in Ermangelung von Besuchern plauderten sie nun eben miteinander. Die goldene Marienstatue sieht novemberlich aus. Kein Sonnenstrahl bringt sie heute zum Funkeln, auch die Perlenkette aus Regentropfen, die ihr bei meinem letzten Besuch so gut stand, hat sie nicht angelegt. Still schaut sie auf die Stühle und die novembergrauen Bäumchen hinab.

Auch vor der Eisdiele einige Schritte weiter stehen Stühle, tapfer aufgestellt und mit den sommerfarbenen Auflagen einladend ausgestattet. Mutig hat sich ein Pärchen dort niedergelassen, in dicken Fliesjacken und Schals bis über die Ohren. Der Keller nähert sich ihnen mit einem großen Tablett. „After-Eight-Becher“ ruft er so laut, dass viele Passanten sich nach ihm umdrehen und den beiden mutigen Eisliebhabern anerkennend zunicken.

„Magst du Stollen?“, fragt ein Mann eine Frau an der Straßenverkaufstheke des Bäckers. „Nein, bloß nicht, die Rosinen, das Orangeat und was da sonst noch alles drin ist“. Man sieht, wie sie sich allein beim Gedanken daran schüttelt. „Aber mit Marzipan und Mandeln?“, fragt er schon deutlich weniger enthusiastisch. „Keine Ahnung“, sagt sie und schnaubt empört, als er „einen Mandelstollen bitte“ über die Theke ruft. Als die Verkäuferin den Stollen über die Theke reicht, sieht sie immer noch missgelaunt aus. „Und ein Mohnschnecke“, sagt der Mann und die Sonne geht auf in den Augen der Frau. „Das hast du dir gemerkt?“ Er lächelt zurück. „Ach weißt du was, ich probiere deinen Stollen, wenn wir zu Hause sind“, sagt sie. Mit ineinandergehakten Armen bummeln sie davon.

„Heute auf Gleis 10“ fährt mein Zug ein. Ein ältere Dame tippelt schnellen Schrittes im Gleisabschnitt hin und her, in dem „mein“ Waggon halten soll. Eine andere Dame im gleichen Alter steigt als eine der letzten aus und die beiden fallen sich begeistert um den Hals, halten sich eng umschlungen fest und tun das noch, als ich sitze, eingecheckt habe und nochmal kurz aus dem Fenster sehe.

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