Als Kind mochte ich die Geschichte von Frederik der Maus, die nicht wie die anderen Mäuse Vorräte sammelt für den Winter, sondern Farben und Sonnenstrahlen und Geschichten. Und der damit dazu beiträgt, die Mäuse durch den Winter zu bringen.
Ich habe dieser Tage wieder daran gedacht. Igor Levit spielte Beethoven in der Alhambra und postete Fotos von dort. Ich suchte, ob es eventuell einen Livestream gäbe und fand – Erinnerungen, an die ich lange nicht gedacht hatte. Die aber mit mehr kamen als mit Bildern. Sie brachten Gerüche mit und der Geräusch von plätscherndem Wasser überall in den Gärten der Alhambra das Gefühl von warmem Frühlingswind auf der Haut.
Gesehen habe ich die Alhambra vor mehr als 20 Jahren, als ich einen Freund besuchte, der in Granada studierte. Ich erinnere mich an mein überwältigtes Staunen ob der Räume und der vielen schönen Details. An das wunderschöne Gewölbe in der Sala de los Abencerrajes. An den sonnenbeschienenen Löwenhof, die wunderschönen Spiegelungen im Wasser des Myrtenhofs. An die Gartenanlage des Generalife und die Wasserspiele. Ich erinnere mich auch an das vertraute Gefühl von Freundschaft, von Zweisamkeit inmitten der vielen Menschen dort. An die Freude an der Schönheit, die ich dort so intensiv empfand.
Ganz besonders erinnere ich mich aber an einen anderen Moment mit der Alhambra – am frühen Morgen, bevor ich sie von innen sah. Ich wohnte in einer kleinen Pension im Albaicín und wurde früh wach. Ohne Plan wanderet ich durch das Altstadtviertel, hinauf auf den Hügel, der der Alhambra gegenüberliegt. Auf dem Aussichtsplatz vor einer Kirche waren Bauarbeiter am Werk und machten gerade Kaffeepause. Ich setzte mich auf ein Mäuerchen und winkte zurück, als sie mir Grüße zuriefen. Einige kamen herüber, brachten mir einen Plastikbecher und schenkten mir Kaffee aus ihrer Thermoskanne ein. Ich erinnere mich an den starken, bitteren Geschmack des Kaffees, das Radebrechen zwischen Spanisch, Englisch und Französisch. Das gemeiname Lachen über die unbeholfene Kommunikation.
Ich erinnere mich an das Glücksgefühl, die Morgensonne über dem alten Palast zu sehen, an die Unbeschwertheit dieser Ferientage mit frühsommerlichen Temperaturen und Sonne satt – kam ich doch aus bretonischem Regen (und sogar einen Abend Schnee) in überreichen Mengen. An die Freude, an diesem frühen Morgen an diesem schönen Fleckchen Erde zu sein, ganz allein und ohne Verpflichtungen. Die Teekanne und die Gläser, die ich mir auf dem Rückweg gekauft habe, sind unglaublich kitschig, aber ich bringe es nicht übers Herz, sie wegzugeben.
Vielleicht koche ich mir heute Nachmittag Tee fürs Homeoffice in genau dieser Kanne – damit mich die Frühlings-Erinnerungen durch diesen Tag tragen, der sich wie ein November-Montag anfühlt, mitten im Juli.