Ausschau halten

Es ist kühl geworden, in der Nacht. Und hell. Nachdem die Straßenlaternen tagelang ausgefallen waren, wurden sie pünktlich zum Sichtbarwerden des Kometen Neowise wieder repariert. Und meine Güte, gibt es hier viele davon. Im Garten sorgen sie für helles Licht. Auf der Straße natürlich auch. Auf den Wegen hinaus aus dem Dorf. Bis hinaus auf den Feldweg leuchten sie.

Vom Nachbarort scheinen die Lichter der Industrieanlagen herüber. Scheinwerfer von der Bundesstraße, die nachts so nah zu sein scheint.

Es riecht nach verfaulenden Äpfeln – einige sind auf die Straße gefallen, als diese noch warm war. Und nach Kräutern aus der nahen Gärtnerei. Minze. Melisse. Vielleicht auch Tymian.

Eine Katze streicht vorbei und maunzt anklagend. Wir gehören hier nicht hin, nicht um diese Zeit, in ihrem Revier.

Die Sonnenblumen auf dem Feld neigen die Köpfe und nicken uns im sanften Nachtwind Grüße zu. Tournesol heißen sie im Französischen. In der Nacht scheinen sie unentschlossen, wohin sie ihre fröhlichen Gesichter drehen und wenden sollen. Ein wenig verblüht sind sie schon. Und einsam; das benachbarte Getreide ist längst geerntet. Gelb die Stoppelfelder und die nächtlichen Sonnenblumen.

Immerhin werfen sie kein aufdringliches Licht auf unseren Weg. Wir recken die Hälse, suchen mit einer App und mit dem Fernglas. Da, ist er das? Wir machen Fotos – mit dem Handy aus der Hand. Gut sind sie nicht, aber später sehen wir: Ja, das war er. Während wir so da draußen stehen, sind wir nicht sicher. Enttäuscht? fragt der Lieblingsmensch.

Ich kuschle mich an ihn und stelle fest: Nein. In diesem seltsamen Sommer ist es das Ausschau halten, das mich glücklich macht. Das Suchen. Das gemeinsame Ausharren und Aushalten. Das Wachsein in der Nacht und das Müdesein am Tag.

Natürlich wäre es schön gewesen, den Kometen so zu sehen, wie die Bilder ihn zeigen. Klar, hell und leuchtend. Sicher. Eindeutig. Wir sehen aber nur wage Umrisse. Blasse Andeutungen. Eine unsichere Ahnung. Wir finden nicht das, was wir uns erhofft hatten, aber wir finden etwas. Einen Schatz, der ganz anders ist als erwartet. Weniger glänzend, weniger aufsehenerregend. Aber ganz eindeutig ein Schatz. Ein Schatz des Zusammenseins. Des gemeinsamen Erinnerns. Des schweigenden Einverständnisses. Des Durchhaltens. Des Miteinander-Reden-Könnens. Des Streitens und Versöhnens. Des Tröstens. Des unausgesprochenen Einverständnisses.

Und vielleicht zieht dieser Komet, den wir nur so halb beobachtet haben, dessen Licht sich rar gemacht hat, dann doch einen leuchtenden Schweif hinter sich her. Leuchtende Freude über einen unerwarteten Besuch. Leuchtende Ideen für ein lange schwelendes Problem. Leuchtende Augen, weil wir zusammen sind und gehören.

2 Gedanken zu „Ausschau halten

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