Hast du eigentlich keine Angst vor den Fremden, die jetzt hier sind? – fragte mich neulich eine Bekannte. Nein, habe ich nicht. Wieso auch. Begegnung mit Neuem, Unbekanntem, mit Menschen, die ich nicht kenne, sehe ich als Möglichkeit, Neues zu lernen, bereichernde Begegnungen zu machen, etwas vom Zauber des Gemeinsamen zu erfahren. Als ich kürzlich mit Freundinnen in Nordfrankreich und Belgien unterwegs war, haben mir gleich mehrere Begegnungen mit völlig fremden Menschen gezeigt, dass es nicht nur mir so geht.
Ihr seid ja keine Flüchtlinge, mögt ihr mir jetzt entgegenhalten. Ich sehe da aber grundsätzlich erstmal keinen Unterschied. Menschen, die irgendwo fremd sind, die die Sprache nicht oder nicht perfekt sprechen, die neugierig sind und vermutlich das ein oder andere falsch verstehen oder falsch machen, waren wir allemal. Und welche Hautfarbe, welches Heimatland oder was-weiß-denn-ich-was-Menschen-noch-unterscheiden-kann man auch haben und in eine Begegnung mitbringen mag, ist doch im Endeffekt egal, wenn es darum geht, sich von Mensch zu Mensch zu begegnen.
Das sahen Menschen, die wir unterwegs getroffen haben, wohl genauso. Und öffneten uns wie selbstverständlich ihre Häuser und Gärten, ihr Ohr und ihr Herz. Da war die freundliche Künstlerin, die in Lüttich in dem Haus wohnt, in dem Mary Ward und die ersten Gefährtinnen gelebt haben. Sie hat sich sehr gefreut, dass da Frauen allen Alters Interesse an der Geschichte des Anwesens hatten, das seit mehr als 130 Jahren im Besitz ihrer Familie ist. Wir wurden großzügig bewirtet und schon nach kurzer Zeit entstanden Gespräche, die weit über oberflächliche Betrachtungen und die Beschreibung architektonischer Besonderheiten hinausgingen. Wir tauschten Familiengeschichten aus und erzählten uns von Dingen, die für die jeweils andere wesentlich sind. Am Ende waren wir alle gerührt und im Herzen bewegt.
Bei einem Unfall in St. Omer waren sofort Menschen da, die uns halfen, die den Rettungsdienst riefen, ihre Jacken zum Wärmen der gestürzten Freundin auszogen. Die Rettungsassistenten und das Krankenhauspersonal, mit denen wir es zu tun bekamen, waren nicht nur kompetent, sondern eben auch ehrlich freundlich. Berücksichtigten die Situation, dass da eine Touristin in der Fremde verunglückte, erklärten alles mitten im größten Notaufnahme-Stress mit einer unglaublichen Geduld, überwanden Sprachbarrieren mit Lächeln statt mit Ungeduld und machten die ganze Situation allein durch ihre Freundlichkeit besser erträglich.
Und so reihten sich überraschende Begegnungen, die über bloße Dienstleistungsfreundlichkeit hinausgingen, die echte Kontakte auf einer zutiefst menschlichen Ebene waren, aneinander wie auf einer glitzernden Perlenkette.
Ich habe mich sehr über diese Begegnungen gefreut. Und hoffe, dass Menschen, die hier bei uns neu und völlig fremd sind, auch solche Erfahrungen machen. Wenn uns das gelingt, gehen wir alle bereichert aus diesen Begegnungen hervor. Ich drücke uns allen die Daumen.