Archiv für den Monat: April 2016

Begegnungen mit völlig fremden Menschen

Hast du eigentlich keine Angst vor den Fremden, die jetzt hier sind? – fragte mich neulich eine Bekannte. Nein, habe ich nicht. Wieso auch. Begegnung mit Neuem, Unbekanntem, mit Menschen, die ich nicht kenne, sehe ich als Möglichkeit, Neues zu lernen, bereichernde Begegnungen zu machen, etwas vom Zauber des Gemeinsamen zu erfahren. Als ich kürzlich mit Freundinnen in Nordfrankreich und Belgien unterwegs war, haben mir gleich mehrere Begegnungen mit völlig fremden Menschen gezeigt, dass es nicht nur mir so geht.

Ihr seid ja keine Flüchtlinge, mögt ihr mir jetzt entgegenhalten. Ich sehe da aber grundsätzlich erstmal keinen Unterschied. Menschen, die irgendwo fremd sind, die die Sprache nicht oder nicht perfekt sprechen, die neugierig sind und vermutlich das ein oder andere falsch verstehen oder falsch machen, waren wir allemal. Und welche Hautfarbe, welches Heimatland oder was-weiß-denn-ich-was-Menschen-noch-unterscheiden-kann man auch haben und in eine Begegnung mitbringen mag, ist doch im Endeffekt egal, wenn es darum geht, sich von Mensch zu Mensch zu begegnen.

Das sahen Menschen, die wir unterwegs getroffen haben, wohl genauso. Und öffneten uns wie selbstverständlich ihre Häuser und Gärten, ihr Ohr und ihr Herz. Da war die freundliche Künstlerin, die in Lüttich in dem Haus wohnt, in dem Mary Ward und die ersten Gefährtinnen gelebt haben. Sie hat sich sehr gefreut, dass da Frauen allen Alters Interesse an der Geschichte des Anwesens hatten, das seit mehr als 130 Jahren im Besitz ihrer Familie ist. Wir wurden großzügig bewirtet und schon nach kurzer Zeit entstanden Gespräche, die weit über oberflächliche Betrachtungen und die Beschreibung architektonischer Besonderheiten hinausgingen. Wir tauschten Familiengeschichten aus und erzählten uns von Dingen, die für die jeweils andere wesentlich sind. Am Ende waren wir alle gerührt und im Herzen bewegt.

Tisch mit Getränken und Waffeln in einem Garten in Lüttich

Bei einem Unfall in St. Omer waren sofort Menschen da, die uns halfen, die den Rettungsdienst riefen, ihre Jacken zum Wärmen der gestürzten Freundin auszogen. Die Rettungsassistenten und das Krankenhauspersonal, mit denen wir es zu tun bekamen, waren nicht nur kompetent, sondern eben auch ehrlich freundlich. Berücksichtigten die Situation, dass da eine Touristin in der Fremde verunglückte, erklärten alles mitten im größten Notaufnahme-Stress mit einer unglaublichen Geduld, überwanden Sprachbarrieren mit Lächeln statt mit Ungeduld und machten die ganze Situation allein durch ihre Freundlichkeit besser erträglich.

Kathedrale von St. Omer

Und so reihten sich überraschende Begegnungen, die über bloße Dienstleistungsfreundlichkeit hinausgingen, die echte Kontakte auf einer zutiefst menschlichen Ebene waren, aneinander wie auf einer glitzernden Perlenkette.

Ich habe mich sehr über diese Begegnungen gefreut. Und hoffe, dass Menschen, die hier bei uns neu und völlig fremd sind, auch solche Erfahrungen machen. Wenn uns das gelingt, gehen wir alle bereichert aus diesen Begegnungen hervor. Ich drücke uns allen die Daumen.

Links gegen das Schweigen XVII

heute-empfehlen-wir-wertschaetzung

Wie wird man eigentlich ein Fascho? Der Versuch einer Antwort auf diesen Frage, ist zwar schon ein paar Wochen alt, aber noch immer lesenswert.

Noch älter, nämlich schon aus dem letzten Sommer, ist dieser Text, der aufzeigt, dass wir alle Vorurteile haben, auch rassistische. Und dass es darauf ankommt, wie wir damit umgehen.

Und während alle über Obama in Hannover diskutieren, lese ich einen älteren Text nach, der die Frage, ob wir es beim Bekämpfen des Hasses mit einem Staatsversagen zu tun haben, vereint.

Sicher ist aber, dass sich ohne Einsatz derer, die davon überzeugt sind, dass Hass und Gewalt keine Lösung sein können, nichts zum Guten ändern wird. La vie vagabonde zeigt, dass wir längst über „wehret den Anfängen“ hinaus sind, aber auch Beispiele für Menschen, die viel dafür tun, dass die Menschlichkeit überwiegt.

Andererseits ist in Freital lange Zeit unbemerkt eine weitere Terrorzelle gewachsen. Endlich wird sie auch so genannt und also solche verfolgt. Es hat lange – in meinen Augen viel zu lange – gedauert, bis es so weit war.

Um einen der Täter, gegen den jetzt wegen Terrors ermittelt wird, geht es auch in diesem Text aus dem Februar, der der Frage nachgeht, wer diejenigen sind, die Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte planen und verüben.

Ganz anders in Sumte. Dort hatte sich die Aufregung um die große Zahl von Flüchtlingen in einem kleinen Dorf schnell gelegt. Und heute, wo die Zahl der Bewohner der Flüchtlingsunterkunft deutlich zurückgegangen ist, vermissen die Bewohner die Asylbewerber. Es ist kaum zu fassen, wie sehr Angst und Panik den Blick verstellen können.

Wer sind diese Menschen, die unsere neuen Nachbarn sind und werden? Ein Blog gibt einigen der Neubürgern die Möglichkeit, sich vorzustellen. Es lohnt sich, dort öfter oder länger vorbeizuschauen.

Martin Gommel ist in Idomeni und zeigt und beeindruckende Bilder und Geschichten.

Und bis zum 2. Mai könnt ihr für die Aktion Hass hilft voten, die bei The BOBS – Best of Online Activism nominiert sind.

 

Sainte-Anne-d’Auray: Von Legenden, Bauwerken und Blumenpracht

Wallfahrtskirche von Sainte-Anne-d'Auray im Süden der Bretagne

Jesus ist ja eigentlich Bretone. Glaubt ihr nicht? Die Bretonen (naja, einige zumindest) glauben das durchaus. Sagt zumindest eine der vielen Legenden um die heilige Anna, die Schutzpatronin der Bretagne. Demnach war die heilige Anna eine Bretonin durch und durch.

Weil ihr Mann, der heilige Joachim, in der Sagen der Bretonen ein kinderhassender Griesgram gewesen sein soll, suchte Anna ihr Heil in der Flucht und gelangte auf abenteuerliche Weise, bei der eine ganze Horde Engel ihre Finger Flügel im Spiel gehabt haben sollen, ins heilige Land. Dort gebar ihre Tochter Maria dann Jesus – der Rest ist bekannt. Weniger bekannt ist allerdings, dass die heilige Anna im Alter Heimweh bekam, so dass Engel sie in die Bretagne zurücktrugen.

Kreuzgang des Karmeliterklosters in Sainte-Anne-d'Auray

Dass die heilige Anna in der Bretagne so sehr verehrt wird, hat natürlich auch mit der letzten Herzogin der Bretagne, Anne de Bretagne zu tun. Die war und ist hochverehrt und nutzte natürlich den katholischen Annenkult (der durchaus deutlich ältere Wurzeln hat) auch für ihre Zwecke bzw. macht ihn nochmals populärer.

Wallfahrtskirche und Blumenwiesen

Warum ich euch das erzähle? Weil sich in Sainte-Anne-d’Auray im bretonischen Morbihan alles um die heilige Anna dreht. Im frühen 17. Jahrhundert soll die Großmutter Jesu dort einem Bauern erschienen sein und ihm so glaubhaft versichert haben, dass sie genau dort verehrt werden wolle, dass Pfarrer und Bischof nicht anders konnten, als dem Bau einer Kirche zuzustimmen.Seitenschiff der gothischen Kirche in Sainte-Anne-d'Auray mit Annenaltar

 

 

Annenaltar in der Basilika in Sainte-Anne-d'AurayDoch natürlich blieb es nicht bei einer Kirche. Im 17. Jahrhundert entstand ein Kloster (mit sehr schönem und vollständig erhaltenem Kreuzgang) und im 19. Jahrhundert schließlich die Basilika Sainte Anne, die heute den Ort dominiert und von außen wie innen bezaubert. Gebaut wurde außerdem eine überdimensionale, auf jeden Fall imposante, überdachte Wallfahrtstreppe.

Wallfahrtstreppe in Saint-Anne-d'Auray

Ganz besonders hübsch ist auch die Anlage rund um das Wallfahrtsensemble in Sainte-Anne-d’Auray mit herrlich bunten Blumenwiesen und dutzenden halbtrunkenen Hummeln. Sooo schön. Wenn ihr also in der Nähe seid: ein Abstecher lohnt sich.

Protipp: Der Andenkenladen neben der Basilika hat natürlich den üblichen Touristen- und Wallfahrtskram, aber durchaus geschmackvolle Geschenke. (Einige von euch wissen vermutlich, was ich meine 🙂 )

bunte Blütenwiese in Sainte-Anne-d'Auray

rosa Mohnblüte in Sainte-Anne-d'Auray

dunkle lila Blüten in Sainte-Anne-d'Auray

gelbe Blüten mit weißem Rand in Sainte-Anne-d'Auray

leuchtend gelb-orangene Blüten in Sainte-Anne-d'Auray

Blick aus dem Fenster

Feld mit frühlingsgrünen Bäumen in VorpommernIch fahre gerne Bahn. Ich schimpfe auch gerne über die Bahn, und nein, das schließt sich nicht aus. Wer nie Bahn fährt, darf auch nicht meckern. So, jetzt wisst ihr Bescheid. Aber zurück zu den schönen Seiten des Bahnfahrens. Also zum Blick aus dem Fenster. Denn schon im letzten Jahr habe ich mich ein bisschen schockverknallt in eine Bahnstrecke hoch im Norden, nämlich die von Hamburg nach Stralsund. Quer durch Mecklenburg-Vorpommern. Über Orte die Schwerin heißen und Bützow und Velgast und Ribnitz-Damgarten.

Nachdem ich im vergangenen Jahr „nur“ bis Rostock und Umgebung gekommen bin (sooo schön war das), bin ich dieses Mal bis Stralsund getuckert. Und war auch diesmal völlig hingerissen von jedem Blick aus dem Fenster.Blick aus dem Zugfenster auf ein noch unbestelltes Feld

Das wundervolle frühlings-sonnen-verzückt-in-die-gegend-träumen-Wetter tat sein Übriges dazu. Aber auch bei grauem Himmel bei der Rückfahrt war die Landschaft einfach richtig, richtig schön.

Felder aus dem Zug fotografiert

grüne Wiese, unbestelltes Feld und Wäldchen aus dem Zug fotografiert

Blick auf frühlingsgrüne Landschaft in Mecklenburg-Vorpommern

Ich habe mich nicht von der GPS-Funktion meines Handys belehren lassen, wie die unzähligen Seen hießen, an denen wir vorbeifuhren. Aber es waren viele. Sehr viele. Einer schöner als der andere. <3

See an der Bahnstrecke nach Stralsund

See hinter Nadelbäumen in Mecklenburg-Vorpommern

Seeufer vom Zug aus gesehen

See unter weißen Schäfchenwolken

Feriensiedlung an einem See in der Nähe von Bad Kleinen

Malerischer See hinter Baumstämmen

Die vielen Hochsitze lassen auf große Mengen Wild schließen. Und auch davon kann man im Gehölz einiges sehen. Genauso wie meterlange Teppiche aus weißblühenden dunkelgrünen Bodendeckern (wachsen da oben Waldanemonen? weiß das jemand von euch?) in den kleinen und größeren Wäldchen am Gleisrand.

Es gibt Windräder, die aussehen, als hätte man die Landschaft drumherum extra für sie geschaffen; und dann sind da natürlich auch malerisch aufgestapeltes Brennholz, Rapsfelder und Nadelgehölz. Und jede Menge majestätisch-schöner Schwäne, Reiher und Enten. Und wenn man dann ankommt, geht es immer weiter mit der Pracht. Ihr merkt schon: Das ist eine Reise-Empfehlung.

Brennholzstapel auf einer frühlingsgrünen Wiese in Mecklenburg-VorpommernWenn ihr dann noch von einem supernetten Menschen abgeholt werdet, der den Tag damit verbracht hat, beim Spaziergang an den nahegelegenen Kreidefelsen an euch zu denken und Muscheln für euch zu sammeln, dann geht es euch wie mir und ihr seid ein wenig gerührt und bezaubert und einfach hingerissen von diesem Stückchen Erde am Ende der Welt (oder am Anfang des Meeres – so genau weiß man das ein paar tausend Kilometer weiter – in der Bretagne – ja auch nicht 🙂 )

Jederzeit gerne wieder!

 

Windräder auf einer Wiese in Mecklenburg-Vorpommern an der Bahnstrecke zwischen Schwerin und Stralsund

Werbung für Fortgeschrittene

Irgendeine Zigarettenmarke wirbt mit in halb Köln mit großflächigen Plakaten mit der Aufschrift „you decide“. Am Bahnhof Süd hat ein Witzbold Spaßvogel Kritiker Passant „lung cancer?“ darübergeschrieben.

Werbeplakat mit "you decide" und von Hand hinzugefügter Frage: lung cancer?

Beim Warten auf den verspäteten Zug gen Durchfahrtsland entspinnt sich neben mir folgender Dialog zwischen einer jungen Frau vom Typ verträumte Sozialpädagogikstudentin und einem eindeutig nicht mehr ganz so jungen Herrn vom Typ Langzeit-Philosophiestudent:

Er: Was heißt den Chancer?
Sie: Chancer kenn‘ ich nicht. Aber wenn du cancer meinst, das heißt Krebs.
Er: Voll krass die Werbung da drüben. Weißt du, auf was die raus wollen? Welches Wort da voll philosophisch betont wird?
Sie: Decide? You kann es ja nicht sein. Oder? Nee, das ist schon decide. Oder?
Er: Nee, das betont voll das Wort Freiheit. Voll die geile Werbung. Total krass und gemein und so. Aber voll genial gemacht.
Sie: Das können die doch nicht ernst meinen, dass die mit Krebs werben.
Er: Doch, das ist ja das perfide. Wir sollen denken: Ich zeig dir den Mittelfinger, ich geh sogar drauf, so frei bin ich. Philosophisch gesehen ist das die absolute Freiheit. Sogar seinen eigenen Tod wählen. So krank und hart. Aber frei.
Sie: Das kann man doch nicht machen. Das ist voll unmoralisch.
Er: Im Gegenteil.

Während ich noch überlege, ob ich es ihnen sagen soll (also, dass das keinesfalls so gemeint ist, sondern eben von einem aufmerksamen Passanten so gestaltet), entspinnt sich aus dem nein-doch-nein-doch nebenan eine wilde Debatte darüber, wie so ein krasser Spruch wohl in einer Werbeagentur entsteht. Und wie die Macher sich dann gegenseitig dafür feiern. Mit Champagnerdusche, wie bei der Formel1 – da kann man ja auch sterben.

Kurz bevor ich dem Drang nachgebe, mich in die Diskussion einzumischen und herauszufinden, welche philosophischen Ansichten ich dadurch auslösen könnte, kommt ihr Zug. In eine andere Richtung, das möchte ich zur Ehrenrettung des Durchfahrtslandes dann doch noch betonen 🙂

Wissen wie Werbung geht? You decide.

Ein virtueller Ausflug ans Cap Fréhel

Leuchtturm am Cap FréhelAn manchen Abenden brauche ich eine Extra-Dosis Meer, Erinnerungen an Salz in der Luft und auf der Haut, an Meeresrauschen und den Geruch von Heidekraut und Ginster. Und ihr habt Glück, denn heute teile ich ein wenig von all dem mit euch – bei einem virtuellen Ausflug ans Cap Fréhel.

Steil abfallende Klippen am Cap Fréhel in der Bretagne

Bucht am Cap Fréhel

Vom Cap Fréhel zum Fort la Latte

Die malerische und beliebte Landspitze liegt an der Côte d’Émeraude, also der Smaragd-Küste, an der Nordostküste der Bretagne. Das besondere dort sind die hohen Klippen (einige bis 70 Meter hoch), die verschiedenartigen und verschiedenfarbigen Felsen, die sensationelle Aussicht, die vielen Vögel und die wunderbare Flora in der Heidelandschaft rund um den Leuchtturm und an der Küste entlang bis zum Fort la Latte, einer stattlichen Burg aus dem 14. Jahrhundert. Davor steht übrigens ein Menhir, der der Finger des Riesen Gargantua sein soll (auch seinen Fußabdruck kann man dort bewundern – eine Wanderung oder ein Abstecher lohnen sich also nicht nur für Ex-Romanistikstudentinnen (Rabelais lässt grüßen 🙂 ).

Blick vom Cap Fréhel auf das Fort la Latte im Hintergrund

Ich kann stundenlang um das Cap herumspazieren und mich vom Wind, der dort meist in großen Mengen zu haben ist, so richtig durchpusten lassen. Im Sommer gibt es oft eine frische Brise, die den Duft von Ginster und anderen wunderbaren Mitgliedern der Heideflora über die Felsen trägt. Ein echter Lieblingsort. Viel Spaß beim Mitschwelgen. #Hach

Schieferfelsen am Cap Fréhel

rote Blüte am Cap Fréhelgrüner Blütenstand am Cap Fréhel im Nordosten der Bretagneweiß-gelbe Blüten am Cap Fréhel in der BretagneFelsen mit gelb-orangenen Flechten am Cap FréhelGelbe Fruchstände einer Blüte in der Küstenlandschaft am Cap FréhelHeidelandschaft an der bretonischen Nordküste in der Nähe des Cap FréhelGinsterblüte vom Stechginster unterhalb des Leuchtturms am Cap FréhelMarkierungsstein mit eingraviertem Anker am Cap Fréhel

Links gegen das Schweigen XVI

Die letzte Sammlung ist ein wenig her, daher bekommt ihr heute eine Mischung aus aktuellen und älteren Links. Man hat so leicht das Gefühl, dass alles so schnell vorbeigeht und sich ständig ändert. Bei genauerem Hinsehen bleiben einige Erkenntnisse aber gültig, auch wenn die akute Lage in Idomeni oder Calais oder… ein wenig verändert hat.

Besetztes Haus in Köln mit Bettlaken mit der Aufschrift Refugees welcome

Man kann auch das Gefühl bekommen, dass wir alle langsam abstumpfen bei den vielen Meldungen von leidenden Menschen auf der einen und ängstlichen auf der anderen. Oliver Trenkamp plädiert auf SPON dafür, das eigene Mitgefühl nicht zu dimmen und denjenigen, die genau das immer wieder fordern, aktive Hilfe entgegenzusetzen.

Aktiv werden, sich äußern gegen diejenigen, die Mitgefühl nicht nur ablehnen, sondern aktiv bekämpfen, ist manchmal auch an Orten notwendig, an denen man es nicht auf den ersten Blick vermuten würde. In Hamburg-Blankenese zum Beispiel.

Menschen wir Frau K. tun das. Und Zoë Beck erzählt uns davon in bewegenden Worten.

Dirk V. hat auch geholfen. Bis über die eigenen Belastungsgrenzen hinaus. Er ist bekannt geworden durch einen Tweet, der den Tod eines Flüchtlings vom LaGeSo in Berlin meldete und der sich als falsch herausstellte. Der Tagesspiegel hat mit ihm gesprochen und es lohnt sich, den Text langsam und gerne auch zweimal zu lesen.

Die Zahl der Uno-Flüchtlinsghilfe stammt aus dem Februar, ist aber vermutlich immer noch aktuell: Jeden Tag ertrinken zwei Kinder im Mittelmeer. Jeden verdammten Tag. Also auch gestern. und heute. Und morgen. Und übermorgen. Die Nachricht schafft es aber schon lange nicht mehr auf die Titelseiten oder überhaupt in relevante Positionen der Berichterstattung.

Doch verzweifeln gilt nicht. Und zum Glück gibt es ja auch die andere Seite. Julia Schönborn zeigt, dass er längst da ist, der Aufstand der Anständigen.

Jagoda Marinic beschreibt in der taz ebenfalls, warum es nötig ist, klare Worte zu finden für die Anstand und gegen Rassismus.

Dass ein solches konkretes Engagement für Geflüchtete Früchte trägt, auch wenn es eben nicht immer einfach ist, erläutert Sr. Sabine Adam, Provinzoberin der Congregatio Jesu, in einem Interview.

Und schließlich: Wenn man sich auf konkrete Begegnungen einlässt, kann man erstaunliche und ganz wunderbare Dinge erleben.

Gegensätze und Unverständnis: Zäune in Calais

Holzzaun am Strand von CalaisRomantisch sehen sie aus. Ein wenig nach Frühling am Meer. Von der Sonne beschienen. Eine Verheißung für warme Badetage. Die Zäune am Strand von Calais. Aufhalten sollen sie höchstens das Verwehen des Sandes. Vielleicht stoppen sie ein Handtuch oder eine Strandmuschel vom endgültigen Davonfliegen. Vor allem aber sehen sie malerisch aus.

Strand von Calais mit Holzzaun und Fußgängern im Sonnenschein

Detail eines Holzzauns am Strand von Calais

Holzzaun in der Sonne am Strand vor Calais

Nur wenige hundert Meter entfernt sehen die Zäune ganz anders aus. Meterhoch. Aus stabilem Stahl. Mit Abschlüssen aus Natodraht. Ich war nicht geistesgegenwärtig genug, die Zäune am Fähranleger zu fotografieren. Zu beeindruckend, zu beklemmend, zu sehr zu leidenschaftlichem Widerspruch herausfordernd waren die Zäune für mich. Immer noch. Immer wieder. Daher gibt es nur einige Eindrücke aus dem Busfenster von der Schnellstraße, einige Kilometer entfernt.  Die Zäune verändern die Landschaft. Und unser Bild von Europa. Unsere Idee von Menschlichkeit. Und dann haben wir vom „Dschungel“ von Calais noch gar nicht geredet.

Grenzzäune an der Schnellstraße nach Calais

Grenzzäune rund um Calais

Meterhohe Grenzzäune bei Calais in Nordfrankreich

Wieder etwas weiter, einige Kilometer gen Westen an der Küste entlang, am Cap Gris-Nez schon wieder Zäune. Auch diese sollen Menschen abhalten. Davon, auf die Wiesen am Rande der Klippe zu gehen. Sie verhindern, dass die Besucher die Grasnarbe zerstören und die Erosion der von Wind und Wellen angegriffenen Küste befördern. Die Zäune sind hüfthoch, manche nur knöchelhoch. Draht, ja. Aber natürlich kein Natodraht, wo kämen wir denn da hin. Wo es mannshohe Holzzäune gibt, sollen sie vor allem gut in die Landschaft passen.

kleiner Zaun am Cap Gris-Nez

knöchelhoher Draht, um Touristen von der Wiese am Cap Gris-Nez fernzuhalten

Malerischer Holzzaun als Fußwegbegrenzung am Cap Gris-Nez

Am Cap Gris-Nez gibt es zahlreiche Bunker und Überreste der deutschen Belagerung zu sehen. Sie haben die Landschaft langfristig verändert. In Calais sind die Zäune zwar leichter abbaubar, doch fürchte ich, dass diese Art der Abschottung die Landschaft ebenfalls nachhaltig verändert. Und diesmal nicht nur die natürliche, sondern auch die politische und gesellschaftliche Landschaft.

Diese Art der Abschottung zeigt, wie sehr sich unsere Gesellschaft verändert. Wie sehr uns die Angst – vor „dem Fremden“ und „den Fremden“, vor verunsicherten Wählern und überhaupt vor Veränderungen – vor sich hertreibt.

Ich habe in den vergangenen Monaten vor einigen verschlossenen Grenzen gestanden. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, Geflüchteten, Helfern, politisch Verantwortlichen. Ich habe mit dem Kopf gedacht und mit dem Herzen gefühlt. Ich habe es wirklich versucht. Aber am Ende des Tages stehe ich wieder vor einem Zaun und verstehe es einfach nicht.