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Totentanz von Kermaria und Temple von Lanleff

Die unscheinbare granitene Außenfassade mit kleinem TurmAn der Nordküste der Bretagne, in der Bucht von Saint-Brieuc, liegt das kleine Städtchen Plouha. Das Städtchen selbst ist nicht wirklich außergewöhnlich, aber die beiden Bretagne-Tipps, die es heute für euch gibt, sind noch kleiner. Damit ihr eine Orientierung habt, wohin ich euch heute mitnehme, ist Plouha also ein guter Ausgangspunkt. Falls ihr Superlative mögt, könnt ihr dort die höchsten Klippen der Bretagne bewundern (104 Meter).

Kermaria an Iskuit

Vor allem aber solltet ihr den Wegweisern nach Kermaria folgen. Denn hinter den schlichten Mauern der Granitkirche „Kermaria an Iskuit“ (in etwa: Maria, die aus der Not rettet) verbergen sich echte Schätze.

Zum einen gibt es da einen wirklich faszinierenden Totentanz vom Ende des 15. Jahrhunderts. Dieser „dance macabre“ zeigt den Tod, der Menschen aller Stände in einem langen Tanz mit sich nimmt. Man sieht einen König, einen Bischof und einen Abt, einen Feldherrn und einen Ritter mit Knappen, einen Arzt, aber auch Frauen, Musiker, Bettler, Verliebte,… die uns zeigen sollen: Im Tod sind wir alle gleich.

Totentanz

Das Fresko besteht aus mehr als 40 Bildern und jedes einzelne ist beeindruckend. Man kann eine halbe Ewigkeit staunend mit dem Kopf im Nacken verbringen.

Ausschnitt des Freskos aus dem Totentanz von KermariaAber auch der Rest der Ausstattung kann sich sehen lassen. Es gibt eine ganze Reihe einfache, typische bretonische Holzstatuen aus der Romanik. Und dann ist da noch eine schöne stillende Madonna. Außerdem gibt es einige schöne Aposteldarstellungen am Eingang.

Marienstatue mit Jesuskind auf dem linken Arm, mit der rechten Hand holt die Gottesmutter ihre Brust aus dem MiederHolzstatue eines Mönchs 4 bemalte lebensgroße Steinstatuen

 

Wenn ihr schon da seid: Ein paar Kilometer weiter gibt es den Temple von Lanleff, die Ruine einer großen Rundkirche, die kurz nach der ersten Jahrtausendwende gebaut wurde.

Die Ruine der Rundkirche von außenBild von innen mit Säulenbögen und Blick in den Himmel

Von Heiligen und anderen Experten

pardon_la_viergeIm Urlaub haben wir das Grand Pardon in Le Folgoët besucht. Um ehrlich zu sein, waren wir eigentlich nur bei der großen Trachtenprozession am Sonntagnachmittag. Älteren Fotos und weitschweifigen Ankündigungen on- und offline zufolge sollten sich dort bis zu 20.000 mehr oder weniger fromme Pilger versammeln. Von denen haben wir jedoch nur einen Bruchteil zu Gesicht bekommen. „Früher hätten sie hier keinen Fuß auf den Boden bekommen“, sagte der freundliche Herr neben uns. Sehr bedauert hat er das geringe Interesse aber nicht: „Das ist hier nicht so mein Ding, aber die Kostüme sind ganz hübsch.“

pardon_kostuemeAuch uns hat in diesem Fall die Aussicht auf echte bretonische Trachtenträgerinnen und -träger am meisten motiviert. Wir kamen dabei auch voll auf unsere Kosten. Neben traditionell entspannten französischen Verkehrspolizisten, typisch bretonischem Wetter und einer kleinen „Souvenirmeile“ bekamen wir zahlreiche Menschen in historischen Kostümen mit entsprechend würdigen Gesichtern und beeindruckend gut erhaltene alte Fahnen mit aufwändiger Stickerei zu sehen. Einer der Höhepunkte war die Prozession der Heiligen, die nicht am Stock, sondern auf dem Stock gehen.

pardon_heilige

Einer davon war auch der Heilige Salaün. Er soll ein rechter Dummkopf gewesen sein und sein Leben lang nur „Ave Maria“ gesagt haben. Nach seinem Tod wuchs auf seinem Grab eine weiße Lilie, in der mit goldenen Buchstaben geschrieben stand…. Ave Maria.

Sind sie nicht wundervoll, die bretonischen Legenden? Wie die meisten bretonischen Heiligen findet man den verehrten Dummkopf in keinem römischen Heiligenkalender. Gefeiert wird hier nicht nur, wer es in die offiziellen Annalen geschafft hat. Ganz im Gegenteil: Besondere Verehrung scheinen die zu erfahren, die das Volk für heilig befunden hat. Sie können Ohrenschmerzen lindern (wenn man eine Münze in die Quelle taucht und diese anschließend vor dem Altar der dazugehörigen Quelle liegen lässt), Schatten spendende Sträucher mit sättigenden Früchten wachsen lassen oder Diebe ermitteln. Man berichtet, dass sie unterschiedliche lange Stöckchen gezogen haben, um zu ermitteln, wer Eremit in der beliebtesten Gegend sein durfte und wer weiterziehen musste. Und dass sie es anfangs gar nicht so leicht hatten mit den bretonischen Dickschädeln. Nicht umsonst nennt man den Landstrich an der Nordküste des Finistère auch „Pays Pagan“- Land der Heiden.

Wer zum Pardon nach Le Folgoët kommt, vertieft sich vermutlich nicht in solche Gedanken. Schließlich gilt es, die besten Plätze zu finden. Und dann zu warten („Hoffentlicht predigt dieser Typ aus Paris nicht so lang.“) Wichtigste Lektion des Tages war daher diese: Profipilger haben Klappstühle.

pardon_pilger_klappstuehle

Nebel. Oder: Wie Legenden entstehen

Wir sitzen am Strand. Die Sonne scheint warm, nur draußen über dem Ärmelkanal sind ein paar kleine Dunstwolken zu erahnen. Vor uns schaukeln Boote fröhlich auf den Wellen. Ein paar Möwen lassen sich in der Bucht faul auf dem Wasser treiben, und eine Horde Strandläufer steckt eifrig die langen Schnäbel in den Sand.

Dann frischt der Wind auf – Seewind. Und die Nelbelwolken aus der Ferne treiben in Schwaden auf uns zu. Der Wind reißt einzelne Fetzen aus dem Dunst heraus. Grau ziehen sie an uns vorüber, über uns hinweg, durch uns hindurch. Der Mast des Segelbootes vor uns verschwimmt vor unseren Augen, als hätten wir zu viel getrunken. Aber noch immer sitzen wir in der wärmenden Sonne.

Doch ehe wir uns versehen, ist der Nebel ganz da. Breitet sich aus. Umhüllt das Wasser, die Boote, uns. Kriecht erst langsam, dann immer schneller über den Sand, walzt sich die Dünen hinauf, schiebt sich über die Felder. Verschluckt die Häuser, den Wasserturm, zuletzt die Sonne.

cote_des_legendesDie Möwen sind verstummt, die Strandläufer längst weitergeflogen. Nur das Plätschern der Wellen ist zu hören. Ab und zu treibt ein Bug ins Blickfeld, bei der nächsten Windböe ein Mast, der in der Luft schwebt, ein einzelner Möwenflügel, ein Schatten auf dem Wasser. Innerhalb von Sekunden hat sich die gesamte Atmosphäre gewandelt. Und ich ahne, dass die Bezeichnung „côte des légendes“ mehr ist als ein Marketing-Coup der Tourismusbranche.

Plötzlich kann ich sie sehen, die Besatzung der Geisterschiffe, die Feen und Zauberer, Neptun und sein Gefolge. Ich kann sie riechen, ihren algigen Atem, ihre salzigen Gewänder. Und hören – die wassergetränkten Schritte, die lockenden Gesänge, die geflüsterten Versprechungen. Fast warte ich darauf, dass eine Meerjungfrau den Kopf aus dem Wasser streckt und von ihrer großen, verlorenen Liebe singt. Dass tanzende Gespenster ein Neugeborenes unter dem „Kinderfelsen“ ablegen, damit es am Abend von seinen Eltern abgeholt werden kann. Dass der Geist eines zu jung von den Wellen verschlungenen Korsars über das Wasser läuft und mir verrät, wo er seinen geheimnisumwitterten Schatz versteckt hat.

Wer weiß, vielleicht lebt der Mann mit den Karottenhänden, von dem Pierre Jakez Hélias erzählt hat, nicht nur im Pays Bigouden? Flüstern nicht auch hier die Fischschwärme aufgeregt miteinander wie in Un royaume sous la mer von Henri Queffélec? Und ganz sicher leben hinter dem Nebel all die Sirenen, Feen und Druiden aus dem Barzhaz Breizh.

Kopf und Herz voll Fantasie und Geschichten suchen wir uns Schritt für Schritt den Weg über die Dünen nach Hause.

PS (Januar 2014): Ich habe bei Stories und Places übrigens markiert, wo die Nebel wallten.