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Falsche Sprache

„Hangar des Horrors“. Dreimal erwähnte der Tagesschaubeitrag diesen Namen, den die Menschen der Halle gegeben haben, in der die Leichen der ertrunkenen Flüchtlinge auf Lampedusa aufgebahrt sind. (Für alle, die nicht wissen, um welchen Fall es geht: u.a. hier gibt es eine Übersicht).

Je häufiger er fällt, desto mehr stört mich der Begriff. In meinen Augen ist die Leichenhalle  nicht der Ort des Horrors. Sie ist ein Ort der Trauer, des Innehaltens, des Mitleidens. Die Bilder der Särge, das Erzählen der Überlebenden, das hilflose Schulterzucken der Verantwortlichen machen mich fassungslos, sprachlos, unendlich traurig, hilflos. Aber ein solch unbedachtes Sprechen über das Unglück macht mich wütend.

Doch nicht der Hangar selbst ist der Ort des Schreckens. Der wirkliche Horror, das Leid, die Verzweiflung sind vielmehr dort, wo die Menschen auf den Booten alles hinter sich gelassen haben, um die unsichere Überfahrt nach Europa zu wagen. Der Horror ist auf den seeuntüchtigen Booten, in der Angst vor der Seenot, im Kampf um das Überleben. Er ist in der heil-losen Trauer, die den Überlebenden ins Gesicht geschrieben steht.

Die Rede vom „Hangar des Horrors“ tut so, als sei die provisorische Leichenhalle an sich schrecklich. Doch das ist sie nicht. Wer vom „Hangar des Horros“ spricht, stellt sein eigenes Grauen, den Schrecken der Zuschauer in den Mittelpunkt, nicht das Schicksal der Flüchtlinge. Der Begriff klingt so klein und nah, ist in Wirklichkeit aber großsprecherisch und distanziert. Er hilft nicht, das Drama zu erklären, das Leiden nahezubringen. Nein, er verharmlost den wahren Horror. Eine solche Sprache lenkt den Blick auf uns selbst, stellt unser eigenes Leiden an den Bildern in den Mittelpunkt. Sie lenkt ab von den Verstorbenen und den Überlebenden; von der verfehlten Flüchtlingspolitik Europas; von Gesetzen, die Seeleute, die Schiffbrüchigen helfen, zu Kriminellen stempeln.

Wenn sich etwas ändern soll, muss das in den Köpfen der Verantwortlichen – in unseren Köpfen und in unserer Sprache – anfangen.