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Des einen Freud…

Wir fühlen uns, als wären wir in eine lebende Kitschpostkarte gefallen. Dabei wussten der Lieblingsmensch und ich doch genau, was uns erwartet, wenn wir nach Brügge fahren. Wie in fast allen alten flämischen Städten gibt es hier Spätmittelalter-Romantik in Hülle und Fülle. Prachtvolle Backsteinhäuser, einen beeindruckenden Belfried, reich verzierte Fassaden und prachtvolle Kirchen. Das kennt man j aus Brüssel (OK, das ist nicht flämisch), aus Gent, aus Leuven, … In Brügge fühlt sich das alles allerdings tausendfach potenziert an.Häuer und eine Gracht in Brügge

Schon als ich Anfang der 2000er Jahre bei einem Praktikum dort war, gab es Touristen ohne Ende in der Stadt. Seit es in Zeebrügge das große Kreuzfahrtterminal gibt, hat sich auch die Zahl der Touristen potenziert, sie kommen busladungsweise und eilen freizeituniformierten Ausflugsbegleitern mit Schirmchen in Unternehmensfarben hinterher.

Wären da nicht die vielen Touristen und die dazugehörige Infrastruktur (Pommesbuden, Souvenirläden, Waffelstände), man könnte meinen, in Brügge wäre die Zeit stehengeblieben. Kein Krieg, kein großflächiges Feuer hat die Altstadt zerstört.Oude Markt, der Alte Markt, in Brügge

In Hamm wurde unsere Hochzeitsgesellschaft darauf hingewiesen, dass wir in einem von nur einer Handvoll historischen Häusern getraut würden ;der Rest ein Opfer des Krieges – Kunstpause – des dreißigjährigen Krieges. Die Kölner Innenstadt ist seit 1945 nicht wiederzuerkennen. In Rennes hatte ein Feuer einen großen Teil der Altstadt hinweggerafft – am Kranz der Fachwerkhäuser um die Innenstadt kann man die Brandlinie noch heute gut erkennen. Nur in Brügge ist noch fast alles, wie es war. Zeugt von Macht (der Herzöge von Burgund), von Reichtum (durch die Textilindustrie) und wirtschaftlichem Selbstbewusstsein (selten habe ich so schlecht gelaunte steinerne Türwächter gesehen wie am Rathaus von Brügge, die Mitglieder der Handelskontore umschmeicheln – hier nicht).Häuser in der Altstadt von Brügge

Zur Wahrheit gehört aber auch: Dass das alles so gut erhalten ist, zeugt auch von Machtverlust, Armut und Bedeutungslosigkeit. Denn mit der Neuzeit kam die Versandung des Zwin, ohne Nordseezugang kein Handelszentrum, ohne Handelskontore und Adelssitz keine Einnahmen, ohne renommierte Universität keine wissenschaftliche Bedeutung. Jahrhundertelang lebte man nicht mehr in Brügge, sondern überlebte, mit Ach und Krach.

Gerne hätte man wohl teilgehabt an der Industrialisierung. Aber ach, Antwerpen und all die anderen mit sandfreien Meereszugängen, mit großen, schiffbaren Flüssen und attraktiven Konditionen für Investoren, waren so viel attraktiver. Fabriken und Arbeitsplätze? Entstehen andernorts. Kanalisation? Wird zuerst woanders gebaut. Gut gefüllte Marktstände? Nur dort, wo auch Menschen waren, die die Produkte bezahlen konnten.Altstadt von Brügge

Wer durch die Straßen und Gässchen schlendert, über die Brücken der Reies (so heißen hier die Grachten) geht, im Café am Oude Markt eine der besten Waffeln ever isst, sieht diesen Teil der Geschichte nicht. Dabei hat gerade sie die heutige Pracht möglich gemacht. Wer arm ist, reißt die bestehenden Häuser nicht ein, um neue, dem aktuellen Zeitgeist entsprechende zu bauen. Wer ums Überleben kämpft, zieht keine Stararchitekten an. Wer am Hungertuch nagt, bewahrt Traditionen und klöppelt Spitze – und ist gezwungen, sie zu einem Hungerlohn zu verkaufen.

Sollen wir also alle mit einem schlechten Gewissen durch das Schmuckkästchen spazieren? Natürlich nicht. Aber der Gedanke, dass das, was wir als schon immer dagewesene Tradition begreifen, das, was wir auf den ersten Blick schnell als romantisch und verwunschen einstufen, bei einem zweiten Blick vielfältiger, vielschichtiger, komplexer ist als wir vermuteten – dieser Gedanke könnte uns auch begleiten, wenn wir zurückgekehrt sind in unseren weniger kitschigen, aber immer wieder auch auf den ersten Blick erfassbar scheinenden Alltag.

Arbeitsplatz with a view

Gestern hatte ich einen besonders schönen Platz zum Arbeiten,Beten, Lesen, Musik hören und überhaupt.

Ausblick am Abend…

… und am frühen Morgen…

… Nebel am frühen Vormittag …

… der sich langsam lichtet …

… Mittagssonne …

… fast schon wieder vorbei …

… Nachmittagslicht

Die Bibliothek in der Mittagspause … und weitere Pausenspaziergangsimpressionen aus Leuven (hach <3)

 

 

Het Pand – Büchergedanken und das große Ganze

Malerisch liegt der ehemalige Dominikanerkonvent in Gent an der Leie. Bei Herbstsonnenschein kann man romantisch am Kanal vorbeiflanieren, den Straßenlärm ausblenden und sich vorstellen, wie hier früher die Gelehrten über die Straße eilten, um in die berühmte Bibliothek zu gelangen.ehemaliger Dominikanerkonvent Het Pand in Gent

Dass die Lage am Fluss das Verhängnis der Bibliothek sein sollte, kann und mag man sich gar nicht vorstellen. Doch genau so war es. Während des Bildersturms von 1566 wurde das Kloster geplündert und man warf alle Bücher ins Wasser. Die Angreifer rissen die Bücher auseinander und warfen sie aus den Fenstern der Zellen der Mönche, so dass es ausgesehen haben soll wie große Schneeflocken, die herabfielen. So hoch sollen sich die Werke im Wasser gestapelt haben, dass man trockenen Fußes über die Leie gehen konnte.

Das ist auf den ersten Blick nicht so martialisch wie das Verbrennen von Büchern. Der Effekt ist aber ganz ähnlich: Man zerstört Wissen, Geschichte, eine ganze Kultur des Lernens und Lehrens und Forschens. Die Eroberer setzen fest, was gelesen, gelehrt, gedacht werden soll. Und sie zeigen, dass sie gewillt und fähig sind, diese Vorgaben umzusetzen. An Dingen und Menschen.

Die Macht des Wortes – auch und gerade des geschriebenen, konservierten Wortes – ist groß. Darum müssen die Bücher verschwinden. Und die Wirkung der Vernichtung soll möglichst eindrücklich sein. Es geht nicht nur um die Macht, um die Unterwerfung des „Feindes“. Es geht darum, den Gegner im wahrsten Sinne mit Haut und Haaren zu vernichten; seine Kultur, seine Kunst, seine Geschichte, sein Wissen, seine Ideen, seine Träume und Visionen, seine Sicht auf die Welt zu zerstören. Auszurotten. Zu ersetzen durch die eigene Sichtweise.Bücherregal in der Dominikanerbibliothek in Gent

Die Eskalation ist maximal. Eine Diskussion ist nicht mehr möglich. Sich anderen Meinungen auszusetzen ist keine Option mehr. Wer nicht freiwillig die eigene Sichtweise übernimmt, muss mundtot gemacht werden. Und plötzlich geht es nicht mehr um Geschichte, sondern um unsere Situation, unsere Gesellschaft, unsere Art, miteinander umzugehen.

Die, die nicht zuhören wollen, die die Gedanken ihres Gegenüber vernichten wollen, die den Diskurs ausmerzen wollen, sind laut. Ihre Zeichen sind stark und wirkmächtig. Aber sie müssen nicht das letzte Wort haben. Es ist anstrengend, sich dem Diskus auszusetzen. Verschiedene Meinungen zu Wort kommen zu lassen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Es ist schwer, aus seiner eigenen Filterblase auszubrechen und sich auf andere einzulassen. Es ist eine Herausforderung. Aber es ist möglich. Es muss möglich sein.Dominikanerbibliothek in Gent

Die Dominikanerbibliothek in Gent ist heute wieder zugängig. Die alten Bücher dort sind nicht nur Museumsstücke, sondern können wirklich gelesen, genutzt werden. Eine sachliche Auseinandersetzung ist wieder möglich. Auch wenn es in einer Nacht im 16. Jahrhundert vermutlich nicht so aussah, als könnte das jemals wieder geschehen.

 

Saisonende am Meer

Sonnenuntergang am Meer mit rose-orangenen Wolken

Das Wellenrauschen mischt sich mit Motoren- und Klopfgeräuschen. Die Besitzer der süßen kleinen weißen Strandhütten fahren mit Traktoren oder Geländewagen und Anhängern vor und bauen die Holzhäuschen ab. Das dauert nicht lang: Nach dem Lösen einiger Schrauben wird das Dach abgehoben. Die Seitenwände trennen sich nach einigen festen Schlägen voneinander, die Bodenplatte wird angehoben und entsandet, mit einer Schaufel heben die Aufräumer die beiden hölzernen Verankerungsstreben aus dem Sand, laden alles auf den Hänger und nach wenigen Minuten sind einige Spuren im Sand alles, was davon erzählt, dass hier eine Familie einen Strandsommer verbracht hat.Abbau einer Strandhütte

Der Zaun des Beachvolleyballfeldes ist an vielen Stellen zusammengebrochen. Die Reste werden von missmutig dreinschauenden jungen Männern zusammengetragen. Die Liegestühle der Strandbars sind verschwunden – entweder schon komplett weggeräumt oder in dicke Plastikplanen eingeschlagen, wartend auf den nächsten Transport ins Winterquartier.umgekippter Zaun am Strand

Auch das Velodrom mit den verrückten Fahrradvarianten vom Hochrad bis zum Rad mit losem Lenker ist verschwunden. Ein paar Holzpflöcke haben die Betreiber im Boden zurückgelassen. Kinder laufen lachend den Parcours ab, der sich noch immer im Sand abzeichnet.Abdrücke des Velodroms am Strand von Blankenberge

Im Klamottenladen schräg gegenüber gibt es Rabatt auf Sommerkleidung und Windjacken. Schals und Schirme sind auch im Angebot. Die meiste Eisdielen haben schon geschlossen und der Dekoladen, der zu Beginn des Sommers Ohrringe und Fidgetspinner verkaufte, hat sein Angebot auf Weihnachtsdeko umgerüstet.winterdekoration in einem Laden in Blankenberge

Sein Konkurrent in der Fußgängerzone hält trotzig an den bunten Fingerkreiseln fest und hat sogar den Ladeneingang mit Bildern seiner Kreiselvariationen beklebt. Einige Senioren bleiben vor der Auslage stehen und bestaunen die bunten Spinner. „Das soll mal modern gewesen sein?“Laden für Fidget Spinner in Blankenberge

Muscheln, Fisch und natürlich Stoofvlees und Pommes gibt es noch, fast alle anderen Lokale haben zugemacht. Nicht alle Wirte und Ladeninhaber werden in der kommenden Saison wiederkommen. Einige neue „Te huur“ und „Te koop“-Schilder hoffen darauf, Interessenten anlocken zu können.

Das große Bistro an der Strandpromenade hingegen ist prachtvoll dekoriert wie eh und je. Doch statt der Tropenfrüchte gehören jetzt Kürbis und Zucchini zur Grundausstattung. Drei ältere Herren mit Strohhut sitzen vor einem Gin Tonic und schauen mit verschränkten Armen auf die verblichene Holztür des Personaleingangs, als hätten sie sich am Meer längst satt gesehen.Deko mit Kürbis und Zucchini

Ein paar junge Leute werben am Straßenrand für eine Mitgliedschaft beim flämischen Roten Kreuz. Es sind vor allem Einheimische, die stehen bleiben und sich in ein Gespräch verwickeln lassen. Man erkennt sie an den Einkauftrolleys und daran, dass sie als einzige keine Outdoor-Kleidung oder Funktionsjacken tragen. Nach einem Einkauf im kleinen Supermarkt stehen die potentiellen Neu-Rotkreuzler noch immer am Infostand. Man hat jetzt Zeit.

Die einzigen, die rennen, sind die Techniker, die kurz vor knapp noch die Lichtanlage für die Closing-Party im letzten geöffneten Strandclub aufbauen. Als sei vom Herbst noch lange nichts zu spüren, blinken die bunten Scheinwerfer, bläst die Nebelmaschine Trockeneiswolken auf die sandige Tanzfläche. Ausgeschenkt wird schon der Gin der kommenden Saison. Alle aktuellen und viele alte Sommerhits klingen durch die viel zu früh angebrochene Nacht. Der DJ lässt sich nicht lumpen und spielt Robbie Williams, Ed Sheeran, Abba und sogar Queen. Und dann – als sei es ein echter Sommer gewesen – Lambada, Macarena und ein aller-, allerletztes Mal Despacito. Um kurz nach 23 Uhr ist Schluss. Es rummst noch ein paar Mal, dann sind Lichtanlage, Nebelmaschine und DJ-Pult weggeräumt, die Bar abgebaut und die verbliebenen Bänke und Tische eingepackt. Lichter der Closing Party

Am nächsten Morgen werden wir von der Ruhe geweckt. Vom Rauschen der Wellen, dem Pfeifen des Windes, dem leisen Plätschern des Regens und dem vereinzelten Kreischen der Möwen. Hallo Herbst.

Knokke-Heist zum zweiten

Es gibt ja zwei mögliche Ausgangspunkte für die Planung von Reisen. Etwas sehen wollen, das man noch nicht kennt. Oder an einen Ort zurückkehren, an dem es besonders schön war. In diesem Jahr sind der Lieblingsmensch und ich eindeutig zur zweiten Fraktion der Wiederholungstäter -reisenden zu zählen. Und nachdem es uns neulich in Knokke-Heist so gut gefallen hat, waren wir kürzlich gleich nochmal dort.

Wir kamen im Regen an und ich habe mal wieder festgestellt, dass ich das Meer auch bei schlechtem Wetter liebe.Meer vor Knokke-Heist in Flandern bei schlechtem Wetter

 

Schild mit der Aufschrift "Bring your own sunshine"Aber wie das an der Küste so ist, klarte es bald auf und wir konnten Sonne, Strand und Strandpromenade bei strahlendem Sonnenschein und kühlenden Böen genießen.Weiße Buchstaben BEACH vor blauem Himmel in Knokke-Heist in Belgien

 

Albertstrand in Knokke-Heist in Belgien

Blick auf ein sehr wellenbewegtes Meer am Albertstrand in Knokke-HeistVom aufgewirbelten Sand braun gefärbte Wellen in Knokke-Heist, Flandern, BelgienPro-Tipp: In der Saison ist Knokke deutlich belebter als davor, doch so überlaufen wie befürchtet, war es bei weitem nicht. Dieses Mal nächtigten wir näher an der Stadtmitte mit ihren exklusiven Boutiquen, in denen sogar die Schaufensterpuppen Champagner trinken.

Wenn man vom Ortskern auf der Strandpromenade Richtung Holland läuft, werden die Hochhaus-Appartmenthäuser weniger und es gibt sogar vereinzelt Reetdächer. Haus mit Reetdach in Knokke-Heist

Besonders aufgefallen sind uns dieses Mal die kreativen Verbotsschilder für Hunde, die nicht an den Strand dürfen. Neben dem Standard-Hund, der sich aus mehreren Rechtecken zusammensetzt, gibt es an der Strandpromenade noch Schildervariationen, auf denen man bestimmte Hunderassen erkennen kann.

Schild, das ein Hundeverbot am Strand von Knokke-Heist ausweist

Leider gibt es wohl auch Menschen, die Hunde am liebsten ganz verschwinden lassen würden 🙁Hundeverbotsschild mit Hundesilhouette, auf die jemand eine Zielscheibe gemalt hat

 

Auf der positiven Seite auch diesmal: Die unglaublich netten Strandbars, in denen man nach ausgiebigen Wanderungen am Wasser oder auf der Promenade entspannen, lesen und kleine Snacks mit netten Getränken genießen kann (eins kann ich verraten: Gin mit Gurke wird nicht mehr unser Favorit).Holzschild mit "Beach House Rules" wie "Wake Up Smiling", Enjoy the day, Soak Up the Sun, Smile-Giggle-Love

Platte mit Tomate-Mozarella und Pesto sowie zwei Bieren

Große Kunst an einem kleinen Ende der Welt

Kühe vor der Mauer der Abtei Tongerlo in Flandern
Manchmal sind es die kleinen, unscheinbaren Orte, die besonders glücklich machen. Manchmal machen es aber gerade diese Orte es einem auch besonders schwer, sie zu finden. Beides trifft auf einen kleinen, malerischen Orte in Belgien – genauer gesagt in Flandern – zu. Ein Ort, in dem die Bäckerei „Backerij de Becker“ heißt. In dem die Kneipe Getränke ausschenkt und die Karte des Baguette-Ladens direkt nebenan als Speisekarte zum Selber-Kaufen-Gehen auslegt. In dem Kühe, Schafe und Windräder dafür sorgen, dass ich leichter atme.

Umleitung ins NirgendwoFalsche Umleitung in Tingerlo führt nciht zur Abtei, sondern zu einem abgelegenen Bauernhof

Allerdings ist Tongerlo zurzeit auch ein Ort, bei dem an drei von vier Ortseingängen Baustellen mit großen Durchfahrt-verboten-Schildern sind. Folgt man den Umleitungsschildern, landet man wahlweise auf der Autobahn, auf einem verlassenen Baustellenparkplatz hinter einem ähnlich verlassenen Bauernhof. Oder auf einem Parkplatz am Waldrand. Ist man da angekommen, ist man nicht falsch, sondern quasi schon mittendrin im Glück.tongerlo-abtei-aussenmauer

Denn nur einen kleinen Spaziergang an einem kleinen Bach entlang und durch ein kleines Wäldchen hindurch entfernt, liegt ein mittelalterlicher Gebäudekomplex, die Abtei von Tongerlo. Google zufolge ist vor allem das Bier der Prämonstratenser, die dort leben, berühmt. Das ist jedoch nur ein Teil der Wahrheit. Aber auch die wunderschöne, großzügige Anlage der Abtei mit ihrer großen Kirche, den ehemaligen Stallungsgebäuden und dem liebevoll gepflegten Garten ist nicht der wahre Schatz des Anwesens.Eingang der Prämonstratenserabtei in Tongerlo

Dieser Schatz verbirgt sich in einem kleinen Raum, an dessen Eingang eine sehr freundliche ältere Dame sitzt, die in einem extrem charmanten Flämisch und mit ausladenden Gesten herauszufinden versucht, in welcher Sprache sie die Audio-Infos für die Besucher abspielen soll. Nur spanisch kann sie nicht anbieten – was wohl zu nahezu babylonischem Sprachgewirr führte, als kürzlich eine spanische Besuchergruppe komplett ohne Englisch-, Französisch oder andere Sprachkenntnisse außer Spanisch vorbeikam. Das Kunstwerk konnten sie trotzdem ansehen.

Abendmahl

Denn das ist das eigentlich überraschende. Hier ist man mit diesem Werk allein. Und da hängt nicht irgendein Gemälde. Hier hängt eine Leinwandversion von Leonardo da Vincis Abendmahl. Und auch das ist nicht irgendeine Kopie, sondern ein Werk, das im Atelier des Meisters und noch zu dessen Lebzeiten entstand. Der Meister soll sogar selbst Hand angelegt und (so sagt es die freundliche ältere Dame) Jesus und Johannes gemalt haben.

Der Prämonstratenserabt hatte das berühmte Fresko in Mailand gesehen und wollte es in seinem Kloster auch haben. Nur einmal ist es in den Jahrhunderten seither bei einem Feuer beschädigt und in jahrelanger Kleinarbeit wieder restauriert worden.

In Mailand werden Besucher im Minutentakt durch das Refektorium (also passender Weise den Speisesaal) des Dominikanerklosters Santa Maria delle Grazie geschleust, damit möglichst viele Menschen das Bild sehen können. In Tongerlo können wir bleiben, so lange wir wollen. Eine kleine Einführung hilft, Details auf dem Bild zu entdecken.

Zeit im Museum

Zusammen mit einem Freund sind wir ganz allein in dem eigens erbauten Museumssaal, können hin und her gehen, nahe heran treten und mit größerem Abstand schauen. Nach dem ersten, durchaus überraschend intensiven Moment, das Bild, das ich so oft gesehen habe, live und in Farbe vor mir zu sehen, ist es genau dieses Zeit haben, das etwas Besonderes ist. Durch das intensive Schauen, das Betrachten von Farben und Perspektiven kann man das Kunstwerk ausgiebig auf sich wirken lassen. Man kann den gemalten Bewegungen folgen, die sich verändern, je nachdem wo man im Raum steht. Es ist genug Zeit und Raum, um die räumliche Dimension des Gemäldes zu erfassen, den gemalten Lichteinfall, die vielen Details in Mimik und Gestik, in Kleidung und Möbeln und nicht zuletzt bei der Darstellung der Speisen und in der Gestaltung des Hintergrundes.Prämonstartenserabtei in Tongerlo, Flandern, Belgien

Wenn nicht gerade Montag ist, kann man gegenüber der Abtei wohl lecker kleine Speisen verzehren. Zumindest hat der liebevoll eingerichtete Klostershop aber auch montags geöffnet und bietet neben religösen Karten, Andenken und Büchern (die meisten in niederländisch) auch regionale Produkte und Kalligrafien an.

Ein Spaziergang durch das weiträumige Areal und zurück an der Klostermauer zum Parkplatz rundeten unseren Nachmittag ab. Rundum schön.

tl;dr:
Ein Ausflug nach Tongerlo lohnt sich. Nicht nur, aber besonders für Kunstfreunde.

Teil der Fassage der Abtei im belgischen Tongerlo

(Don’t go to Belgium) – Teil 3

Wo wir neulich schonmal an der belgischen Küste waren, haben wir auf dem Rückweg noch einen kurzen Abstecher nach Brügge gemacht.

Wasserweg in Brügge am Sint-Jans-Hospital

Eigentlich wollten wir ja nach Antwerpen, aber da war immer noch Stau rundherum, und so gönnten wir uns einen Abstecher ins Bilderbuch-Mittelalter. Wenn ihr es schön haben wollt und euch weder vor Kitsch noch vor Touristenmassen fürchtet, ist das euer Ort. Egal, um welche Ecke man biegt, es wird immer nur noch schöner.

Straßenzug in der Altstadt von Brügge

Platz mit historischen Häusern und Bäumen in Brügge

Reie in Brügge

Ein flämischer Giebel reiht sich an den nächsten, Kirchen, Villen, prunkvolle Gebäude, ein beeindruckender Belfried, Mühlen und, und, und machen die Stadt zu einem Schmuckstück. Die vielen Grachten – in Brügge heißen sie allerdings Reien – tun ihr Übriges dazu, um aus dem Städtchen eine Perle zu machen. Dazu Sonne ohne Ende und wir hatten einen wundervollen Nachmittag.

mehrere prunkvolle flämische Backsteingiebel nebeneinander

ein weißes und ein backsteinfarbenes Haus in Brügge

prachtvolles altes Backsteingebäude mit schmalem Turm in Brügge

Man kann in Brügge natürlich belgische Schokolade kaufen und sich freuen, wie der Lieblingsmensch von der Verkäuferin für seine guten Sprachkenntnisse gelobt wird. Nebenan können Biertrinker man aus hunderten ausgefallenen Sorten Bier und den passenden Gläsern wählen. Und je nachdem, durch welche Straßen man bummelt, riecht es verführerisch nach Muscheln oder nach Waffeln.

Schild mit der handgeschriebenen Aufschrift: A balanced diet is chocolate in both hands.

Man kann aber auch gemütlich in einer wunderbaren Teestube sitzen und Kaffee bestellen, zu dem man ganz ungefragt ein leckeres Stückchen Kuchen und ein wenig hausgemachte Schokolade bekommt.

Kaffeegedeck mit Cappucino und einem kleinen Stück Kuchen sowie einer kleinen blumenförmigen Schokolade

Wenn man vom dem Lärm, der Betriebsamkeit und der Hektik der unzähligen Menschen auf den Straßen genug hat, biegt man einfach in einen der kleinen Innenhöfe ab und beneidet kurz die Menschen, die dort mitten in der Stadt und trotzdem wunderbar friedlich und still wohnen. Wir haben zwischen den Blumen und Sträuchern des Hofs eine kleine Rast eingelegt und fühlten uns ganz verwunschen paradiesich.

Begrünter Innenhof mitten in Brügge

Fahrt also durchaus mal nach Flandern. Das kann man sehr gut machen.

 

(Don’t) go to Belgium – Teil 2

Surfer und Kitesurfer in Knokke-HeistNeulich haben wir ja die Lieblichkeiten von belgischen Autobahnen ausdauernd auskosten können. Mein erster Rat lautete bei der Hinfahrt: Fahrt nicht nach Belgien. Allerdings gibt es keinen ersten Rat ohne einen zweiten. Und mein zweiter Rat zu Belgien lautet: Seid dort. Viel. Ausgiebig. Ständig.

Strandhäuschen am Strand von Knokke-Heist in Belgien

rot-weiß-gestriefte Strandliegen und ein weißer Windschutz

Denn wenn man erstmal da ist, ist es super. Einfach wunderbar. Da gibt es das Meer, lange Strände, kleine weiße Strandhäuschen, Muscheln, wunderschöne Dünen mit Vögeln und Hasen und Pflanzen. (OK, es gibt auch Quallen, aber irgendwas ist ja immer.) Da findet ihr niedliche Strandbars mit extragemütlichen Sofas, frisch gepressten Obstsäften, schönen Bieren, frischen Tappas und leckeren Cocktails, leichtem Wind und Meeresrauschen.

Strandclub mit der Aufschrift "Beachhouse" in Knokke-Heist

Eingang zu einer Strandbar in Knokke-Heist

Bier und ein Erdbeersmoothie in einer Strandbar

Strandliegen vor weißen Strandhäuschen an der flämischen Küste in Belgien

Segelboote am Hafen in Knokke-Heist in Belgien

Es gibt fröhlich-bunte Windsäcke und elegant über das Wasser düsende Kitesurfer. Freche Spatzen stibitzen sich gegenseitig von den Touristen ergatterte Krümel, junge Möwen unterschätzen die Windböen und taumeln laut quietschend durch die Luft und fröhliche Kinder radeln mit witzig als Miniatureisdielen oder Stuntautos gestalteten Kettcars über die Promenade. Und zwischendrin läuten die „Glocken des Meeres“ an den Masten der Segelboote, die schön herausgeputzt auf den Sommer warten. So schön.

grün-weiß-gestreifte Windsäcke im flämischen Knokke-Heist

Solange man sich nicht umdreht. Denn sobald man seinen Blick vom Meer weg und Richtung Landesinneres lenkt, sieht man eine sterbende Schönheit (oder das, was man in den 50er Jahren für mondän hielt). Wir waren in Knokke-Heist – eher am Ende von Heist als in Knokke. Und sind ausgiebig in beide Richtungen gebummelt.

Hochhäuser an der Strandpromenade von Knokke-Heist in Belgien

Was früher ein mondäner Badeort war, ist heute an vielen Stellen ein Ort des Leerstandes. Alle paar Meter sind Läden und Wohnungen zu verkaufen oder zu vermieten. In den Schaufenstern der zahlreichen Maklerbüros an der Promenade werden allerdings auch für kleine Studios mit Meerblick nur, wenn man sich halsbrecherisch über den Balkon beugt, bedeutende sechsstellige Summen aufgerufen. Das Freizeitprogramm, das in regelmäßigen Abständen auf großen Tafeln angekündigt wird, versucht lauthals, auch jüngere Leute anzuziehen. Jüngere Leute mit Geld, denn Eintritt frei liest man nur selten. Und die überlebenden Restaurants rufen Preise auf, die sich gewaschen haben.

knokke-heist-brasserie-zu-verkaufen

knokke-heist-leerstehende-wohnung

Doch trotz der deutlichen Alterserscheinungen und des krampfhaften Versuchs, weiterhin mondän zu sein, haben der Lieblingsmensch und ich festgestellt, dass der Charme dieser Art von Küstenort uns durchaus gepackt und gefallen hat. Was sicher auch an unserer Unterkunft lag, in der wir in guter Gesellschaft von Marie-Antoinette und allerhand pseudobarockem Schnickschnack gewohnt und die Vorteile einer kleinen Küchenecke und eines liebevoll gepackten Frühstücks-Picknickkorbes am Morgen aus vollem Herzen genossen haben.Büste von Marie-Antoinette im Hotel de Laurier in Knokke-Heist

Belgische Küste: Große Liebe. Gerne wieder.

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(Don’t) go to Belgium – Teil 1

Belgien ist für uns das Land, durch das wir normalerweise nur durchfahren – auf dem Weg in die Bretagne. Auf dem Hinweg geht das immer gefühlt total schnell (und an einer Tankstelle gibt es guten Kaffee und frische Croissants für Menschen wie uns, die kurz vor 6 Uhr losfahren und vorher nicht frühstücken). Auf dem Rückweg zieht sich dieses Belgien wie alter Kaugummi. Es geht und geht einfach nicht vorbei. Und das liegt nicht nur an der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120.

Baden Verboten-Hinweisschild am Strand von Knokke-Heist in Belgien

Andererseits ist Belgien aber auch einer der Orte, an denen das Meer vom anderen, also unserem heimatlichen „Durchfahrtsland“ aus, am nächsten ist. In Holland gibt es natürlich auch nahegelegenes Meer, aber uns war diesmal mehr nach der flämischen Seite der Küste. Doofe Idee. Richtig doofe Idee. Oder zumindest eine Idee, die am Donnerstag noch ein paar tausend andere Menschen in Autos hatten. Da die Belgier gleichzeitig die Idee hatten, auf quasi allen von uns befahrenen Autobahnen großzügig großflächig Baustellen einzurichten und anscheinend alle LKWs dieser Welt unbedingt irgendwas nach Antwerpen liefern mussten, standen wir schön stundenlang im Stau. Auch das wäre ja noch zu ertragen gewesen, wenn wir einfach nur irgendwohin gewollt hätten, aber wir wollten ja ans Meer – und da zählt jede Minute, die man nicht dort verbringt, doppelt. Mindestens.

Wenn ihr jetzt schlau um die Ecke kommt und sagt: Was fahrt ihr an Fronleichnam auch mit dem Auto in Urlaub, hättet ihr doch die Bahn genommen… dann entgegne ich nur ein Wort: Streik. So richtig mit gar keinen Zügen in der Wallonie und so gut wie keinen Zügen in Flandern.

Und wer hier einwendet, ich hätte doch schonmal deutlich freundlicher von diesem Land gesprochen, der hat deutlich zu gut aufgepasst. 🙂 Aber zurück zum Durchfahrtsland Rumsteh-Land.

Umleitungsschild in Belgien mit der Aufschrift "Wegomlegging"

Nach dem Stau auf der Autobahn kam dann noch der Stau auf der Küstenstraße (die so heißt, aber von der aus man natürlich keineswegs die Küste sieht – Belgien halt). Und Umleitungen. Bergeweise Umleitungen. Wegen Bauarbeiten. Deren auf Schildern groß angekündigtes Ende praktischerweise mit dem Saisonende zusammenfallen wird. Die spinnen die Römer Belgier.

Und als wir schließlich fast da waren, und quasi die letzte Ampel vor dem Ziel gerade auf grün sprang, tauchten wir aus dem Nichts ein paar Polizeimotorräder auf und Menschen mit Warnwesten und Polizeikellen springen auf die Straße. Nichts geht mehr – Radrennen. Eines, das leider in den Folgetagen traurige Bekanntheit erlangen sollte. Wie bei der Tour de France kam zuerst ein wenig Werbung, dann eine nicht enden wollende Reihe von Fahrzeugen mit Ersatzfahrrädern und -reifen, dann Polizisten und Fotografen, dann wieder Autos, dann wieder Motorräder, dann lange nichts, dann wieder Autos… ihr könnt euch das vorstellen.

Straßensperrung wegen eines Radrennens in Belgien

Begleitmotorrad beim Radrennen in Belgien

Hinweisschild auf die Belgienrundfahrt 2016 in Knokke-Heist

Irgendwann erhoben sich die Menschen auf dem Mäuerchen am Straßenrand und begannen wild mit den Armen zu fuchteln. Etwa fünf Minuten später tauchten dann die ersten Radfahrer auf. Nach einer Weile das Hauptfeld, dann eine Nachzüglergruppe, dann nochmal einige Nachzügler, dann wieder Materialwagen und Motorräder, dann ein Wasserträger, der vollbepackt wieder Fahrt aufnahm, dann wieder Autos… nach einer gefühlten Ewigkeit ging es dann weiter. Nur, um an der nächsten (ampellosen) Kreuzung das gleiche Spiel wieder zu erleben, denn anscheinend fuhr das Feld eine Schleife durch die Stadt.

Hauptfeld bei der Belienrundfahrt in Knokke-Heist

einzelne Radfahrer beim Radrennen in Belgien

Der Lieblingsmensch und ich waren schon fast soweit, unsere Monopoly-Gefängnis-Aktionskarte in „gehen Sie direkt nach Belgien, gehen Sie nicht am Meer vorbei, ziehen Sie weder Geld noch Sonne ein“ umzubenennen, als wir feststellten, dass es zwar total doof ist, nach Belgien zu fahren. Dass es aber ziemlich großartig ist, wenn man schlussendlich angekommen ist. Aber davon erzähle ich euch ein anderes Mal.