Mit Muskelkater aus der Hölle (wer wochenlang nichts im Garten tut, muss leiden, wenn sie sich dann doch dranmacht…) entscheide ich mich, an meiner U-Bahnstation nicht die Treppe mit den knapp 80 Stufen zu nehmen, sondern mit dem Aufzug zu fahren. Dafür bin ich allerdings am falschen Ende der Bahn ausgestiegen. Als ich sehe, dass der Aufzug bereits die Türen öffnet, mache ich ein paar schnellere Schritte (aua) und rufe der weißhaarigen Dame an der Tür zu, ob sie mich noch mitnimmt.
Klar, lacht sie und dreht sich halb zu mir um. Da erst sehe ich ihren Rollator, mit dem sie vorsichtig über die Aufzugschwelle schiebt. Ich halte den Arm in die Lichtschranke, während die Dame ihre Handtasche wieder richtig in das Körbchen steckt.
Dieses Gerät hier habe ich ganz neu, lächelt sie schüchtern, als sie mich anrempelt, weil sie während der Fahrt versucht, den Rollator zu wenden. Ich habe sowas zum ersten Mal und muss ich mich erst eingewöhnen.
Sicher nicht so einfach, sage ich. Nein, allerdings, lächelt sie wieder. Aber das Ding gibt mir so viel Freiheit. Ich kann wieder draußen unterwegs sein, kann in den Park gehen und zum Einkaufen und wenn ich müde werde, habe ich gleiche eine Sitzbank dabei. Nur das mit der Bremse muss ich noch üben.
Klingt nach einer sehr guten Anschaffung, lächle ich zurück. Die beste überhaupt. Nur noch etwas ungewohnt, sagt sie im Brustton der Überzeugung. Aber das macht nichts, so ist das ja oft. Erst ist es etwas ungewohnt und dann will man es nicht mehr anders haben. Als ich nicke, fragt sie: Wollen Sie noch ein Beispiel? Ich nicke wieder und sie sagt: Mit meinen Nachbarn, da war das genauso. Erst waren sie etwas ungewohnt, sie sahen anders aus und das Essen roch durchs Küchenfenster so anders als meins. Aber dann haben sie gefragt, ob sie Salz ausborgen könnten. Also, gefragt haben sie nicht, mehr so mit Händen und Füßen und so einem Sprachdings in ihrem Telefon. Und da dachte ich, da kann ich doch helfen. Ich meine, nicht nur mit dem Salz, ich war doch Deutschlehrerin. Und jetzt reden wir immer miteinander und ich bringe ihnen neue Wörter bei und ich habe Reis mit Rosinen gegessen. Sehr ungewohnt, aber lecker.
Der Aufzug ist längst angekommen und wir stehen oben in der Sonne. Ich sage ihr, wie schön ich es finde, dass sie sich auf diese neue Erfahrung eingelassen hat und dass ich gerne noch länger plaudern würde, allerdings müsse ich weiter zur Arbeit. Ich wünsche ihr viel Spaß beim Spazierengehen und Erfolg beim Üben mit der Bremse. Sie lächelt und hebt vorsichtig eine Hand vom Lenker für ein Abschiedswinken, Mit wildfremden Menschen reden ist auch noch etwas ungewohnt, sagt sie und schiebt in die andere Richtung davon.
Hach, schön! <3
Oh ja… Ich bin immer noch ganz bezuckert.
Schön, wenn sich Menschen auf andere einlassen. Ein wenig Achtsamkeit von jedem Einzelnen würde dieser Gesellschaft sicher gut tun.