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Was schön war. Gebetsgemeinschaft im Kerzenschein.

Es ist hell in der Kapelle. Einige Plätze sind schon besetzt, immer wieder öffnet sich die Tür und weitere Beterinnen kommen herein. Pünktlich um 6 Uhr sind alle da. Eine von ihnen beginnt mit der Einleitung zum Glaubensbekenntnis. Die anderen stimmen ein. Fensterseite und Türseite immer im Wechsel beten sie den glorreichen Rosenkranz.

Ich bin zum Arbeiten gekommen. Und wir haben intensiv gearbeitet, gedacht, gesprochen, geschrieben. Ein kleines Abendessen, dann gemeinsames Gebet. Ich beginne, die so vertrauten Worte mitzusprechen. Und merke: Nach einem langen Tag voller Gedanken, Planungen und vor allem voller Worte möchte ich nicht mehr reden.

Ich bleibe aber sitzen, höre zu, denke mit. Nach dem ersten Vaterunser löscht eine der Schwestern das Licht. Vier Kerzen erleuchten die Kapelle, den Tabernakel, das Kreuz. Lassen uns Beterinnen im Dunkeln verschwinden.

Eine Erinnerung, die ich lange vergessen hatte, kommt mir in den Sinn: In der Wohnküche des Bauernhofs, auf dem mein Vater aufgewachsen ist, sitzen wir alle nach dem Essen um den großen Tisch. Mein Großvater legt das Besteck zur Seite, rückt seinen Stuhl mit den gerundeten Armlehnen zurecht und stimmt das Vaterunser an. Wie im Rosenkranz bricht er vor der Doxologie ab und beginnt ein Ave Maria. Ich erinnere mich, dass ich bei jedem Besuch wieder staunte über diese ganz andere Art des Tischgebets als ich sie von Zuhause kannte. Und wie wir Enkelinnen danach auf Opas Schoß krabbelten, damit er uns ein Märchen erzähle, bevor er in seinem Lehnstuhl ein Mittagsschläfchen machte.

In der kommenden halben Stunde lasse ich mich tragen vom Gebet der Schwestern, vom Licht der Kerzen, von der Gemeinschaft, die durch das Sagen der immergleichen, uralten, bangenden, hoffenden, heilenden Worte entsteht. Ich lasse mich fallen und fühle mich aufgefangen, mit hineingenommen, dazugehörig. Gehalten, wo ich nicht stolperte, getröstet, wo ich keine Trauer mitbrachte, erfüllt, wo ich vorher keine Leere gespürt hatte.

Die Gebetsgemeinschaft, in der ich einfach sein darf, macht es mir leichter, aktuelle Fragen in mir nicht mit dem Verstand anzuschauen, sondern – es klingt so kitschig, aber ein besseres Wort finde ich nicht – mit dem Herzen. Ich sitze auf der Holzbank, mit geradem Rücken, eingewickelt in meinen warmen Schal, und erkenne, welche Gefühle sich regen, ohne gleich das Bedürfnis zu haben, diese einzusortieren, zu bewerten, zu gestalten.

Die Verbundenheit im Gebet spüre ich zwar auch, wenn ich morgens meditiere, aber unerwartet so tief hineinzutauchen und diese Stärkung in den Alltag mitzunehmen, das war schön.

Heimat

Horst Seehofer soll Heimatminister werden. Seither wird wieder viel über Heimat gesprochen. Was und vor allem wo das ist.

Dabei kommen existentielle Fragen in vielen Beiträgen kaum oder nur am Rande vor. Juna beschreibt das eindringlich.

Ich stelle bei all den Debatten – wieder einmal – fest, dass Heimat für mich ein abstrakter Begriff ist und bleibt. Geboren wurde ich am Fuße des Schwarzwalds, mein Mutterland ist das Saarland, mein Vaterland die Eifel. Meine Eltern sprechen bis heute fließend die jeweilige Mundart, sobald sie mit einem Gleichsprachigen zusammen sind oder telefonieren. Ich selbst spreche nicht badisch, aber den Singsang nehme ich an, sobald jemand badisch (oder, ich gebe es zu, auch schwäbisch) mit mir spricht.

Ich habe mehr als die Hälfte meines Lebens in Baden verbracht, ich mag es, wenn bei der Fahrt nach Süden das erste Mal der Schwarzwald in der Ferne zu sehen ist, wenn der Hornisgrindeturm und die Windräder dort in Sicht kommen. Ich muss jedes Mal lächeln, wenn im Winter vom Tal aus die Flutlichter der Skilifte zu sehen sind. Ich mag badischen Kartoffelsalat (mit Brühe, ohne Mayonnaise) und Knöpfle genauso wie Spätzle.

Aber macht das Heimat aus?

Während des Studiums habe ich ein Jahr in Frankreich verbracht und als ich zu Weihnachten meine Eltern besuchte, sagte ich zu einer Freundin, die mich nach meinen Plänen für den Jahreswechsel fragte: Erst fahre ich heim (nach Freiburg), dann heim (zu meinen Eltern) und dann nach Hause (in die Bretagne). Auch wenn die Zeit dort kurz und begrenzt war, habe ich mich dort sehr schnell zugehörig, angekommen, beheimatet gefühlt.

Seit vielen Jahren lebe ich im Rheinland und fühle mich dort sehr wohl. Dort bin ich eindeutig zurzeit zu Hause. Wir haben ein Heim, das uns ein Zuhause und Willkommen für Gäste bietet.

Aber welcher Ort ist nun Heimat? Ist Deutschland meine Heimat? Baden, das Rheinland?

Oder sind es nicht viel mehr Menschen, Erlebnisse, Erinnerungen? Erinnerungen, die durchaus an Orte gebunden sein können, aber eben auch an Gefühle, an glückliche Momente, gemeinsam durchlittene Trauer, Einsamkeit und fröhliche Feste, leidenschaftliche Diskussionen, geteiltes Schweigen, vertraute Spazierwege und erlebnisreiche Ausflüge.

Menschen, die mich nehmen und lieben, wie ich bin. Die mir vertrauen und denen ich vertraue. Für die ich keine Masken tragen muss und die hinter die Maske sehen, wenn ich eine auflege. Denen ich nichts beweisen muss, aber alles erklären darf. Mit denen ich den Gesprächsfaden wieder aufnehmen kann, egal wie lange wir uns nicht gesehen oder gehört haben. Die mir Freund und Freundin sind und denen ich Freundin sein darf.

Reinhard Mey singt irgendwo „Wo jemand ein Licht für dich ins Fenster stellt, da ist Zuhaus‘“. Zuhause – mit diesem Wort, mit dieser Bedeutung, mit diesem Gefühl, kann ich etwas anfangen.

Und Heimat?

Ich habe nie dauerhaft am Meer gelebt, aber jedes Mal, wenn ich irgendwo am Meer bin, fühle ich mich angekommen. Gegenüber der Weite und Gewalt der See fühle ich mich geborgen, getröstet, herausgefordert, durchweht, inspiriert. Beheimatet. Vielleicht gerade, weil ich weiß, dass ich nicht bleiben werde?

Ich kann also nicht so genau sagen, was und wo Heimat für mich ist. Ich weiß aber genau, wo und was es nicht ist: Ein Ministerium in Berlin. Ein Minister, der sich in den vergangenen Jahren dadurch hervorgetan hat, dass er Menschen, die ihre Heimat, ihr Zuhause, ihre Familien verlassen mussten, das Finden einer Zuflucht bestmöglich erschwert hat. Eine statische Region, deren feste Grenzen in einem Atlas aufgezeichnet sind. Wohlfeile Parolen, die scheinbar einfache Antworten geben, um komplexe Fragen gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Wenn Heimat für mich irgendetwas ist, dann die Möglichkeit, zusammenzuleben. Gemeinsam zu streiten, zu lieben, zu feiern, zu reden. Und die Verpflichtung, sich einzubringen. Im Großen, vor allem aber im Kleinen. Damit aus vielen Zuhauses für die, die danach suchen, Heimat entstehen kann. Egal, wo jemand geboren worden ist.

Blick aus dem Leuchtturmfenster

Vor rund 400 Jahren war eine junge Engländerin davon überzeugt, dass Frauen in kommenden Zeiten Großes bewirken würden. Die Engländerin hieß Mary Ward und sollte Recht behalten. Eine kleine Aktion zu ihrem 433. Geburtstag zeigt, wo ihr Geist noch heute lebendig ist.

Wo wir schon beim Thema Spiritualität sind: Die britischen Jesuiten machen sich Gedanken darüber, wo die Spiritualität des Ignatius und Star Wars Parallelen aufweisen.

Die Arbeitshilfe der UNESCO ist zwar schon von 2015, aber noch immer aktuell (Danke an O. für den Hinweis): Countering online hate speech.

What you see is all there is.

Les Heures Dolentes von Gabriel Dupont. Welche eine Entdeckung bei de Chareli.

Und gleich noch ein Dupont, diesmal mit der wunderbaren Anne Queffélec – deren Interpretation von Debussys Cathédrale engloutie auf der Île d’Ouessant ich vermutlich nie vergessen werde.

Kurze Bemerknisse an einem langen Reisetag

Der Plan war, gegen 8 Uhr gemütlich von Berlin nach Hildesheim zu fahren, nach einem Termin eine Freundin in Hannover zu treffen und ausgiebig zu plauschen und dann nach Hause. Dann kam Friederike und der Hinweis der Bahn, dass quasi alle Züge ausfallen, außer dem IC um 7 Uhr. Ich buchte also abends einen Sitzplatz und stand am nächsten Morgen gegen halb sieben am Hauptbahnhof. Natürlich fuhr nichts. Was dann passierte, hätte mir tierisch auf die Nerven gehen können. Warum ich nach 16 Stunden unterwegs zwar müde, aber auch glücklich bin – ein Rückblick in kleinen Bemerknissen:

Die Infoschalter der Bahn am Berliner Hauptbahnhof öffnen um 7 Uhr. Schon eine halbe Stunde vorher haben sich sowohl im Erdgeschoss als auch im ersten Stock lange Schlangen gebildet. Die meisten Wartenden schauen auf ihr Handy, einige plaudern mit den Menschen um sie herum, überlegen, ob sie sich Mietwagen teilen können und ob die Bahn so etwas erstattet. Zwei japanische Touristen haben sich noch nicht in die lange Schlange eingereiht. Sie drehen und wenden ihre ausgedruckten Fahrkarten mehrfach und diskutieren in gedämpfter Lautstärke. Ich frage, ob sie englisch sprechen und nach nach was genau sie suchen. „Wir wissen nicht, ob wir uns im ersten oder im zweiten Stock anstellen müssen“, erklärt mir die junge Frau. Als ich antworte, sie sollten sich einfach die Schlange aussuchen, die ihnen sympatischer ist, sind sie überrascht. Ehrlich? Es gibt keine Vorschrift? Äääähhh – nein. Strahlend packen sie ihren Koffer und ziehen ihn in Richtung der Schlange im ersten Stock. „If the queue is not sympathetic, people in Germany are“, sagt der junge Mann.

Ich beschließe, den freien Tag nicht zu nutzen und fahre ins Berliner Büro. Unterwegs erreiche ich die Bahnhotline, die von umgestürzten Bäumen spricht und meint, wenn ich es warm und trocken hätte, wo ich sei, solle ich erstmal nicht versuchen, loszufahren.

Die Kollegen buchen mich für den frühen Abend auf einen Flug um. Einen Teil der Wartezeit verbringe ich in einem anregenden Gespräch über Literatur, Soziologie und die Unmöglichkeit von Universalgenies im 21. Jahrhundert. Mein Flug soll dann ein wenig Verspätung haben, aber recht schnell sitzen alle, ein falsch eingeladenes Gepäckstück wird schnell gefunden und herausgefischt und wir rollen los. Bis zur Startbahn kommen wir auch, aber dann hat die Technik andere Pläne. Die Hilfsturbine läuft zwar störungsfrei, der entsprechende Computer behauptet aber das Gegenteil. #technikeristinformiert raunen die ersten durchs Flugzeug (Internetgemeinde – an mein Herz), als wir zur Parkposition zurückrollen und auf die Mechaniker warten.

Eine Mutter schnallt ihren kleinen Sohn ab, die Stewardess zeigt ihnen, von wo aus sie gut sehen können, was draußen passiert. Der Kleine schaut gebannt aus dem Fenster, zeigt hierhin und dorthin, bewundert die im Licht leuchtenden Jacken der Mechaniker und sorgt rund herum für gute Laune. Ich komme mit meiner Sitznachbarin ins Gespräch, die eigentlich nach Leipzig wollte, aber nicht dorthin kam und nun einen Termin im Rheinland vorgezogen hat, den aber vermutlich auch verpasst. Gesprächsfetzen um mich herum zeigen, dass auch viele der anderen Fluggäste gestrandete Bahnreisende sind. Zwar sind viele müde und frustriert über die Verzögerung, aber ich höre kein einziges echtes Wort des Ärgers.

Mit gut zwei Stunden Verspätung in Köln gelandet, ist die erste Nachricht, dass der Zugverkehr stark eingeschränkt sei aufgrund von „IrgendwasabernichtderOrkan“. Auf dem Bahnsteig meckern einige – allerdings nicht die, deren Gesichter ich aus dem Flieger wiedererkenne. Wie Verschwörer nicken wir uns lächelnd zu und winken zum Abschied, als die S-Bahn kommt.

Das Beste erwartet mich aber auf meinem Handy. Ich habe dort die Odyssee ein wenig dokumentiert ein bisschen #ichwillnachhause-Rumgejammer gepostet. Gute Wünsche, Durchhalteparolen und zahlreiche Übernachtungseinladungen, niedliche Tiervideos und gute Wünsche von den besten aller Freunde verkürzen mir die Wartezeiten. Ihr seid mein Netz. Danke! <3456

Schließlich schickt eine Freundin mir ein supersüßes Foto ihrer Hundedame. Mit einem fiesen Seitenblick schaut sie alle böse an, die die Reise noch länger verzögern wollen. Und zack, löst sich der Knubbel bei der Bahn auf und kurz vor halb elf bin ich #endlichzuhause.

Mit euch allen reisen? Gerne wieder.

Blick aus dem Leuchtturmfenster

Ich komme gerade zu nix – außer zum Lesen. Und daher gibt es gleich noch eine Ausgabe der Blicke aus dem Leuchtturmfenster. Vielleicht ist ja für den einen oder die andere ein Text dabei, der ein wenig Licht wirft.

Seit Anfang des Jahres hat Bulgarien die EU-Ratspräsidentschaft inne. Rayna blickt hinter die Kulissen.

Es ist über zehn Jahre her, dass ich im Ostkongo war. Für viele Frauen dort hat sich leider nur wenig verändert.

Rassismus, ein Segelboot und ein Auto in Tobago.

Die NYTimes und Elle schreiben über die Bedeutung und die Folgen des Trump’schen Rassismus. Und bieten keine oder nur wenig Hoffnung an. (via Anke Gröner)

Abschied an einem Sonntag.

Ravel und die Angst.

OMG. Ein Blog über Jane Austen.

War noch was? Ach ja. Frauen in Führungspositionen zerstören Kühlschränke, Firmen und am Ende die Welt.

 

 

Was schön war. Puzzleteil-Edition

Auf der Einladung zur Hochzeit des Lieblingsmenschen und meinereiner prangten Puzzleteile. Weil es ja so ist, dass man – wenn man das richtige Puzzleteil gefunden hat – dieses nicht mehr loslässt. Und wir gedachten und gedenken, es ebenso zu halten. Und da der Lieblingsmensch in meinem Herzen seither keinen Tag nicht den ersten Platz eingenommen hat, ist alles mit Puzzleteilen sowieso schon so kitschig, dass es nur schön sein kann.

Dass ein Besuch im Puzzle-Paradies hier auftaucht, sollte euch also nicht besonders erstaunen. Mit einigen Kollegen waren wir vor Kurzem bei Ravenburger und bekamen eine der seltenen Führungen durch Produktion und Lager. Dabei haben wir zum Beispiel gesehen, wie Lotti Karotti eingepackt wird. Wir haben die Leimküche gesehen und gerochen, haben miterlebt, wie Paletten gepackt und eingewickelt werden. Und im wirklich beeindruckenden Hochregallager waren wir auch.

In Ravensburg werden Spiele, Bücher und überhaupt quasi alles eingelagert, was das typische blaue Dreieck auf der Verpackung hat. Ein paar Dinge werden aber auch direkt in Ravensburg produziert und das sind vor allem Puzzles. Papier und Pappe dafür kommen aus dem Schwarzwald, ganz aus der Nähe meines Geburtsortes. Klingt nicht besonders spektakulär, aber allein das fand ich schon ganz schön, dass ich nämlich vor Jahren die Papierfabrik auch schon besucht habe, in der der „Puzzle-Rohstoff“ entsteht.

Besonders wurde es aber erst, als wir an einem Regal standen, in dem eine Vorlage mit Stanzmessern für Puzzles lag. Diese Stanzvorlage kommt in eine Maschine, dann werden die gedruckten und verleimten Puzzlepappen eingelegt und gestanzt – fertig ist das Puzzle. Was klingt wie ein Moment von Sekunden ist in Wahrheit in Prozess, der zwei bis drei Monate Arbeit erfordert. Denn so lange dauert es, die Puzzlestanzen von Hand herzustellen.

Ja genau, so habe ich auch geguckt. Die Messerbleche werden von Werkzeugmachern von Hand gebogen. Das heißt, jede Rundung, jede Ecke, jeder Rand eines Puzzleteils wurde von jemandem per Hand vorgefertigt, zurechtgebogen, eingepasst. Das sei präziser als Maschinen es hinbekommen könnten. Und während ein Messersatz tausende Puzzles hintereinander weg ausstanzt, stehen in der Werkstatt Menschen, die die nächste Vorlage erstellen. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat.

Dass so viel Arbeit, so viel Zeit, so viel Kunstfertigkeit in etwas so Kleinem steckt, das finde ich schön.

Ich wünsche euch allen ein gutes, glückliches neues Jahr. Und uns allen immer wieder solche Momente, in denen wir die Arbeit, den Ideenreichtum, die Liebe, die Kreativität und all die anderen lebenswerten Dinge hinter den Kulissen entdecken können. Habt es schön!

 

Was schön war

Es ist schon eine ganze Weile her, aber ich muss immer mal wieder daran denken. Denn der Moment war besonders unspektakulär, aber eben auch besonders schön.

Auf dem Weg zum Bahnhof in Nürnberg habe ich es mal wieder eilig. Ich habe einen reservierten Sitzplatz im Zug und an diesem Wochenende ist quasi alles seit Wochen ausgebucht. Außerdem wäre ich, wenn ich den Zug bekäme, nach bewegten Wochen mit vielen Reisen endlich mal wieder einen Abend mit dem Lieblingsmenschen zusammen zu Hause. Und außerdem ist es kalt und nieselt. Ich rollkoffere also zügig durch die Altstadt, die schon nach Glühwein und Lebkuchen duftet und höre schon von weitem einige eindeutig betrunkene Männer vor sich hingrölen. Als ich näher komme, sehe ich sie aus den Augenwinkeln unter einem Dachvorspung sitzen. Bunte Haare, leere Bierflaschen und Schlafsäcke um sich herum, krächen zwei junge Männer fröhlich vor sich hin. Den dritten sehe ich erst, als er mir etwas nachruft.

„Schenkst du uns was?“, schreit er quer durch die Fußgängerzone. „Bitte schenk uns doch was!“ Ich zögere kurz. Mein Portemonnaie ist gut verstaut. Bis ich das rausgekramt habe, ist mein Zug weggefahren. Mein Reisebrot und der Apfel für unterwegs ebenso. Ich will also gerade weiterhasten, da kommt noch ein Nachsatz. „Schenk uns doch was, ein Lächeln reicht schon.“ Ich drehe mich um und schaue zurück. Kein Hohn in der Stimme, kein anklagender Blick. Der meint das ernst. Ich bin so überrascht, dass es wohl einen Moment dauert, aber dann lächle ich breit und fröhlich über die Straße hinweg. „Gerne“, rufe ich. „Danke. Sie sind die Erste, die das heute macht“, ruft der junge Mann zurück und winkt. „Gute Reise.“

Ich packe meinen Koffer wieder fester und laufe weiter und lächle noch immer, als ich am Gleis ankomme, direkt in den bereits eingefahrenen Zug springe, der direkt nach mir die Türen schließt und abfährt. Ein Lächeln verschenken – das mache ich jetzt wieder öfter.

Gesegnete Weihnachten

Alle Jahre wieder…
Süßer die Glocken nie klingen…

Auch wir haben es uns kuschelig und gemütlich gemacht, einen Baum gekauft und geschmückt, die Krippe aufgestellt, den Kühlschrank gefüllt, Tee gekocht und Kerzen angezündet.

Ich mag all das. Den Adventskaffee und den Besuch lieber Menschen. Freunden kleine Geschenke machen, gemeinsam Weihnachtsfilme sehen, Post bekommen und selber welche schreiben (wie immer zu spät, aber trotzdem), Traditionen pflegen eben.

Aber ist das Weihnachten?

Weihnachten ist das Fest, das so ganz anders ist als der äußere Rahmen, dem wir ihm geben. Gott wird Mensch und zwar so wenig göttlich, wie es nur eben geht. Am Rande der Gesellschaft, mitten im Dreck. Nicht gefeiert, sondern verfolgt. Kein roter Teppich, kein plötzlicher Weltfrieden, kein Glanz. (Aber immerhin Gloria.)

Wenn ich auf dieses Jahr zurückblicke, dann stelle ich fest, dass es da durchaus den ein oder anderen Weihnachtsmoment gegeben hat. Menschen, die völlig unerwartet da waren, als ich ihre Hilfe brauchte. Gespräche, die sich unerwartet positiv entwickelten und aus denen echte Lösungen entstanden, die auch gelebt werden. Begegnungen, von denen ich Anfang des Jahres nichts geahnt haben und die mich noch lange prägen werden. Es waren keine Glanzmomente mit langer Vorbereitung, sondern eher Momente, die am Rande, im alltäglichen Grau entstanden und die dann plötzlich zu leuchten begannen.

„Geh nah zu ihm hin“, empfiehlt Mary Ward und meint Gott. Im Lichte von Weihnachten, wo Gott Mensch wird, heißt das für mich auch: Geh nah zu den Menschen hin. Lass dich ein und halte die Augen auf für das, was mitten im Chaos, im Unverständlichen, im anscheinend Bedeutungslosen passiert. Das ist weder gemütlich noch einfach. Aber voller Licht und Liebe.

Ich wünsche euch also frohe Weihnachtstage; nicht nur heute und bis zum Stephanstag, sondern das ganze Jahr über.Nadelbaum im botanischen Garten in Roscoff

Herbstglück mit Kürbiskeksen

Herbstzeit ist Kürbiszeit und da der Lieblingsmensch furchtbar gerne Kürbis-Mandelkuchen isst, läuft hier zurzeit der Backofen heiß. Da ich aber einer Freundin Kleingebäck versprochen hatte, habe ich dieses Mal ein wenig Teig zu verschieden großen Gugls verarbeitet und diese mit einer Frischkäse-Kürbis-Glasur verziert.

Kürbis-Gugls und Kürbis-Kekse

Und dann hatte ich noch Lust auf Cookies. Knallorangene Cookies.

Und da die extrem gut ankamen, kommt hier das Rezept:

  • 100 g Butter
  • 150 g Zucker
  • 1 Pck Vanillezucker
  • 1 EL Zimt
  • 1 Messerspitze geriebene Muskatnuss
  • 150 g Kürbispüree
  • 200 g Mehl
  • 1 TL Backpulver
  • 100g Schokotropfen

Kürbiskekse mit Schokostückchen

Zimmerwarme Butter, Vanillezucker, Zimt und Zucker gut miteinander verrühren. Mehl, Backpulver und Muskatnuss verrühren und zum Teig geben. Das Kürbispüree hinzugeben und langsam verrühren. Zum Schluss die Schokotropfen unterrühren und aus dem Teig kleine Kugeln formen.

Mit genügend Abstand auf ein Backblech setzen (Achtung, die Kugeln verlaufen zu runden Keksen) und bei 180°C etwa 10 Minuten backen.

Einige Kekse habe ich dann ebenfalls mit der Kürbis-Frischkäse-Glasur (Frischkäse, etwas Butter, Kürbispüree und Puderzucker verrühren) verziert.

Guten Appetit!

Het Pand – Büchergedanken und das große Ganze

Malerisch liegt der ehemalige Dominikanerkonvent in Gent an der Leie. Bei Herbstsonnenschein kann man romantisch am Kanal vorbeiflanieren, den Straßenlärm ausblenden und sich vorstellen, wie hier früher die Gelehrten über die Straße eilten, um in die berühmte Bibliothek zu gelangen.ehemaliger Dominikanerkonvent Het Pand in Gent

Dass die Lage am Fluss das Verhängnis der Bibliothek sein sollte, kann und mag man sich gar nicht vorstellen. Doch genau so war es. Während des Bildersturms von 1566 wurde das Kloster geplündert und man warf alle Bücher ins Wasser. Die Angreifer rissen die Bücher auseinander und warfen sie aus den Fenstern der Zellen der Mönche, so dass es ausgesehen haben soll wie große Schneeflocken, die herabfielen. So hoch sollen sich die Werke im Wasser gestapelt haben, dass man trockenen Fußes über die Leie gehen konnte.

Das ist auf den ersten Blick nicht so martialisch wie das Verbrennen von Büchern. Der Effekt ist aber ganz ähnlich: Man zerstört Wissen, Geschichte, eine ganze Kultur des Lernens und Lehrens und Forschens. Die Eroberer setzen fest, was gelesen, gelehrt, gedacht werden soll. Und sie zeigen, dass sie gewillt und fähig sind, diese Vorgaben umzusetzen. An Dingen und Menschen.

Die Macht des Wortes – auch und gerade des geschriebenen, konservierten Wortes – ist groß. Darum müssen die Bücher verschwinden. Und die Wirkung der Vernichtung soll möglichst eindrücklich sein. Es geht nicht nur um die Macht, um die Unterwerfung des „Feindes“. Es geht darum, den Gegner im wahrsten Sinne mit Haut und Haaren zu vernichten; seine Kultur, seine Kunst, seine Geschichte, sein Wissen, seine Ideen, seine Träume und Visionen, seine Sicht auf die Welt zu zerstören. Auszurotten. Zu ersetzen durch die eigene Sichtweise.Bücherregal in der Dominikanerbibliothek in Gent

Die Eskalation ist maximal. Eine Diskussion ist nicht mehr möglich. Sich anderen Meinungen auszusetzen ist keine Option mehr. Wer nicht freiwillig die eigene Sichtweise übernimmt, muss mundtot gemacht werden. Und plötzlich geht es nicht mehr um Geschichte, sondern um unsere Situation, unsere Gesellschaft, unsere Art, miteinander umzugehen.

Die, die nicht zuhören wollen, die die Gedanken ihres Gegenüber vernichten wollen, die den Diskurs ausmerzen wollen, sind laut. Ihre Zeichen sind stark und wirkmächtig. Aber sie müssen nicht das letzte Wort haben. Es ist anstrengend, sich dem Diskus auszusetzen. Verschiedene Meinungen zu Wort kommen zu lassen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Es ist schwer, aus seiner eigenen Filterblase auszubrechen und sich auf andere einzulassen. Es ist eine Herausforderung. Aber es ist möglich. Es muss möglich sein.Dominikanerbibliothek in Gent

Die Dominikanerbibliothek in Gent ist heute wieder zugängig. Die alten Bücher dort sind nicht nur Museumsstücke, sondern können wirklich gelesen, genutzt werden. Eine sachliche Auseinandersetzung ist wieder möglich. Auch wenn es in einer Nacht im 16. Jahrhundert vermutlich nicht so aussah, als könnte das jemals wieder geschehen.