Ich habe selten Anflüge von Misanthropie, aber in der letzten Zeit erwische ich michab und an beim Gedanken an die Überflüssigkeit von Menschen. Also ist es mal wieder Zeit dafür, mich darauf zu besinnen, was schön war. Da gab es nämlich tatsächlich eine Menge in der letzten Zeit.
Wir waren zu Besuch bei Freunden, etwas weiter zu fahren, mitten im Grünen. Wir haben alle regelmäßig viel zu tun und haben uns bewusst ein Wochenende geblockt, um beieinander zu sein. Wir haben gemeinsam gekocht und draußen gegessen, wir haben Kunst geguckt und Natur, wir haben uns über Regen gefreut und den Sonnenuntergang zwischen Wolkenwänden bewundert, wir haben uns an riesigen Hummeln gefreut und Beeren im Garten genascht, wir haben viel gelacht, einträchtig geschwiegen und noch mehr geredet, das alles in 3 einhalb Sprachen, mit Händen und Füßen und ganz viel Liebe und Freundschaft im Herzen.
Ich fahre viel Zug diesen Sommer, treffe wunderbare Menschen und ärgere mich weniger über Verspätungen (und es gibt viele davon), weil ich mit anderen gemeinsam „Bahn-Bingo“ spiele. Wir lachen viel dabei und sind gespannt, wer von uns am Ende des Sommers den Eisbecher gewinnt.
Mit einer Freundin war ich im Stadion. Mitten im Regen, bei einem Freundschaftspiel gegen eine Mannschaft, deren Gästefans die beste Flagge der Welt dabei hatten (die bretonische – falls das nicht eh klar ist). Wie lange habe ich das nicht mehr gemacht und wie weit weg waren die Emotionen, die Fußball früher bei mir ausgelöst hat. Ich war direkt wieder von dem Gemeinschaftsgefühl umgeben, das ich so sehr mochte, ließ mich mitreißen von Torjubel und Hymnengesang. Ich fühlte mich wieder jung und gleichzeitig auch nicht und jedenfalls planen wir jetzt, das ein oder andere Heimspiel dieser Saison zu besuchen und diese leidenschaftliche Nebensächlichkeit in vollen Zügen zu genießen.
Ich kaufe mir eine neue Handtasche und fruchtigen Tee, der als Eistee besonders gut schmeckt. Wenn ich ihn trinke, denke ich an dieses besonders schöne Wochenende und lasse die Freude daran wieder in mir lebendig werden. Proust lässt grüßen. Und noch ein Tee macht mich glücklich und bringt mich über die Regentage. Hibiskus mit Apfelstücken und Gojibeeren, den eine Freundin als Dankeschön fürs Blumengießen aus dem Urlaub mitgebracht hat und der dafür sorgt, dass es im Büro süß duftet, während ich liegengebliebene Aufgaben wegarbeite.
Beim Warten auf einen Arzt lerne ich eine ältere Dame kennen. Fast 90 ist sie und erzählte mir aus ihrem Leben. Wie sie jung geheiratet hat, an der Ostsee, und wie ihr Mann sie schlug. Wie sie ihr Kind packte und mit nur einer kleinen Tasche in den Westen floh – noch vor dem Bau der Mauer, aber schon damals nicht einfach und nicht ungefährlich. Wie sie in einem Auffanglager lebte und dann in eine kleine Wohnung irgendwohin weit weg weiterverteilt wurde. Wie sie Monate später ihren Bruder und ihre Mutter wiederfand und seither nicht mehr an Zufälle glaubt. Wie sie eine großartige und hilfsbereite Frau kennenlernte und später deren Sohn und wie sie dann heirateten. Eine große, liebevolle Familie habe sie um sich herum, erzählt sie. Und dass sie hoffe, dass die jungen Leute nicht die gleichen Fehler machen wie die, die heute alt oder schon tot sind. Weil das keiner mehr brauche und wir es alle viel schöner haben könnten, wenn wir uns gegenseitig helfen. Da haben Sie aber ganz schön viel richtig gemacht, sage ich ihr. Sie zuckt nur mit den Schultern. Ihr sei so viel geholfen worden im Leben, da könne sie gar nicht anders, als das auch zu tun.
Die Nachbarskatze, die sich als Babykatz bei offener Terrassentür häufiger mal in unsere Küche verirrte, hat entdeckt, dass man in unserem Garten die Abendsonne genießen und sich bei Regen unterm Rosmarinstrauch verstecken kann. Und so kommt sie jetzt immer wieder zu Besuch und will kuscheln. Da der Lieblingsmensch sehr allergisch ist und ich lieber ihn als eine Katze im Haus habe, nutze ich das schamlos aus (draußen natürlich und mit gebührendem Abstand zum Lieblingsmenschen) und bin glücklich über diese besondere Sommerfreude.
Was sonst noch schön war: Vanilleeis mit Plattpfirsichen, Zitronnenmelissensirup, Curry, die schöne Bettwäsche, die ich gekauft habe, die Rosenpracht im Garten, die Schmetterlinge im Bürohinterhof und das lange Telefonat mit einer Freundin, die ich lange nicht gehört hatte. Die Solarsonnenblume im Garten und der Salatnachschub aus dem Hochbeet. Freundschaften über Ländergrenzen hinweg und Vorfreude aufs Meer.