Es ist eine kleine Völkerwanderung. Dutzende Menschen streben in Richtung der Felder hinter unserem kleinen Dorffriedhof. Halblaute Grüße, stilles Nicken und fröhliches Winken bei den Kindern zeigen an, dass man sich kennt. Wer die Hitze nicht gut verträgt, kommt mit dem Auto, andere versuchen mit dem Fahrrad, den besten Standpunkt zu finden. Die einen haben Wasser dabei, die anderen Wein, wieder andere Kamera und Stativ.
Eine kleine Gruppe Wanderer kommt uns entgegen, sie wollen einmal um das Dorf herumgehen und das Naturschauspiel aus verschiedenen Perspektiven genießen.
Auf dem Feldweg ist es voll geworden. Groß und klein, jung und alt, Alteingesessene und Neubürger stehen in kleinen Gruppen zusammen und warten. Noch ist es zu hell. Der Blick gen Westen bietet aber auch ein wunderbares Schauspiel. Hinter dem Türmchen der kleinen Kapelle hat der Himmel sich gelb-orange-rosa-lila-blau gefärbt.
Die Raffinerie einige Kilometer weiter hat irgendein Problem und fackelt Gas ab, gerade rechtzeitig wird die Flamme kleiner. Denn da, ganz blass noch und kaum zu erkennen, wird er plötzlich sichtbar, knapp über dem hügeligen, baumbestandenen Horizont: der Mond im Schatten der Erde.
„Was guckt ihr denn da alle, das ist doch nicht sonderlich beeindruckend“, schimpft ein vorbeigehender Herr mit Hund. „Das wird noch, es ist noch zu hell“, tönt es ihm aus verschiedenen Kehlen entgegen.
Und plötzlich interessiert auch er sich für das Phänomen. Bleibt stehen, lässt den Hund über die Felder laufen, doch schon bald kommt der zurück und legt sich hechelnd auf das warme Gras am Wegesrand.
Murmelnd unterhalten sich die Zuschauer, die sich über den langgestreckten Weg verteilt haben. Zücken Handys und versuchen mithilfe von Apps, die Sterne und Planeten zu identifizieren, die nun immer besser sichtbar werden. Jupiter, Venus. Und der immer besser sichtbare rote Mond.
Der Lieblingsmensch schaut gerne aufs Meer, mag dabei aber gerne nicht nur schauen, sondern auch beobachten und hat daher im Frühjahr an der Fernglasfront etwas aufgerüstet. Mit dem Vergrößerungsglas sieht das Schauspiel nochmal deutlich beeindruckender aus. Wir lassen das Glas herumgehen, der Lieblingsmensch zeigt, wie man scharf stellt und zoomt.
Leise aahs und oohs zeigen an, dass der Mars seinen großen Auftritt hatte, Kameraauslöser klicken leise, Hände zeigen in den Himmel. Irgendwann fliegt die ISS aus der gegenüberliegenden Himmelsrichtung so schnell vorbei, dass wir sie kaum sehen. Kurz nach Mitternacht klappt das besser und wir winken Astro-Alex und seiner Kollegin und Kollegen zu.
Der Mond wird dabei schon wieder nach und nach honiggelb. Die Venus ist weitergezogen. Auf dem Heimweg steht er so hoch, dass wir ihn zwischen den Giebeln der Häuser sehen können. Nach und nach zerstreut sich die Menge, biegen alle dorthin ab, wo sie wohnen.
Eine fast vergessene, fröhliche, stille Gemeinschaft hat uns an diesem Abend vereint. Gemeinsam waren wir beeindruckt und entzückt von der Größe des Universums um uns herum und der Tatsache, dass wir da wirklich und tatsächlich auf den Schatten unsere Planeten schauen. Dass es den Menschen gelungen ist, ein multinationales Projekt wie die ISS zu schaffen und zu bemannen (und befrauen – @AstroSerena) und dort Forschung zu betreiben, die uns allen zugute kommen wird bei der Bekämpfung von Krankheiten und so vielem mehr. (Das Horizons-Blog kennt ihr sicher alle, nicht wahr?)
Im Mittelpunkt standen für einen sommerwarmen, windstillen, mondroten Abend lang nicht unsere Meinungen und Unterschiede, sondern unser gemeinsames Menschsein. Das war für mich mindestens genauso schön wie das Himmelsschauspiel über uns.