Als Napoleons Truppen 1794 die Stadt Köln einnehmen wollten – und es auch taten – richteten sie die Waffen auf die Stadtsoldaten. Die waren, sagt man, weder gut ausgebildet noch gut bezahlt, vor allem aber waren sie fassungslos. Da kamen doch wirklich Soldaten und schossen. Die Legende erzählt, dass die entrüsteten „roten Funken“ den französischen Truppen entgegenriefen: Nicht schießen, das sind doch Menschen!
Als ich nach Köln zog, wurde mir diese Geschichte oft milde lächelnd erzählt. Zurzeit muss ich wieder oft an sie denken. Und stelle fest, dass ich sie gut verstehen kann, die entsetzen Stadtsoldaten. Das sind doch Menschen, über die wir da reden. Menschen, die ertrinken (und andere Menschen, die die Rettung der Ertrinkenden verhindern).
Das sind doch Menschen, die so verzweifelt sind, dass sie lieber die gefährliche Fahrt übers Meer wagen, als in dem Horror zu bleiben, der hinter ihnen liegt.
Menschen, die sich sehnen nach einer Zukunft, in der sie nicht nur überleben, sondern leben. Die ihren Kindern ein besseres, sichereres, satteres, beschützteres, gebildeteres, leichteres, lebendigeres Leben wünschen und schaffen wollen.
Menschen mit – sicher oft völlig überzogenen, unrealistischen – Träumen und Hoffnungen, Wünschen und ja, auch Ansprüchen.
Menschen mit Problemen, Traumata, anderen Ansichten, Meinungen und – deutlich schwerer auszuhalten – Haltungen. Menschen mit eigenen Vorstellungen, die mit unseren nicht immer leicht überein zu bringen sind.
Menschen, die keiner haben will und auf deren Rücken Machtspiele ausgetragen werden von anderen Menschen, die sie als Probleme, als Schwierigkeit, als … bezeichnen. Ich mag die Worte hier gar nicht wiederholen, die glauben machen sollen, dass es hier um alternativlose Zwänge gehe; um Dinge; um Bedrohungen. Dabei geht es immer um Menschen. Lebendige Menschen. Wie du und ich.
Ich kenne keine Lösung für die Probleme, die verzweifelte Menschen aus verschiedenen Gründen zur Flucht treiben. Aber ich sehe auf einer größeren Ebene auch keine erfolgversprechenden Bemühungen, diese zu lösen. (Im Kleinen gibt es unendliche viele Belege dafür, dass Menschlichkeit immer zu einer besseren Lösung führt als Hass, aber die scheinen so schwer „skalierbar“ zu sein.)
Aber genau das müsste jetzt passieren: Dass wir gemeinsam nach Lösungen für mehr Menschlichkeit, mehr Frieden, mehr Solidarität, mehr Respekt, mehr Komplexitätstoleranz, mehr Konkretes-Tun suchen. Dass wir die Mehrheit, die für Menschlichkeit steht, aktivieren und mithelfen, dass die vielen kleinen Einzelinitiativen immer größere Kreise ziehen; dass aus diesen Kreisen Hoffnung und Zuversicht darauf wächst, dass es Lösungen geben kann, die allen helfen, die mehr Gerechtigkeit, mehr Unterstützung, mehr Solidarität brauchen.
Statt über Probleme zu lamentieren und immer entmenschlichtere Wörter zu erfinden, müssten wir Lösungen finden, wie wir Kriege beenden und Frieden schaffen können; wie wir Menschen in Armut und Hoffnungslosigkeit dabei helfen, Perspektiven zu entwickeln für sich und ihre Gemeinschaften; wie wir Menschen erreichen können, die vor lauter Angst und Egoismus und Hass blind geworden sind für die Menschlichkeit der anderen; wie wir so leben und miteinander reden können, dass der Hinweis, dass Helferinnen und Helfer Menschenrechte kompromisslos ernst nehmen, kein Vorwurf gegen die Helfenden mehr ist, sondern eine Selbstverständlichkeit (ja, ZEIT-Redaktion, ich schaue euch an).
Ich weiß nicht, wie der Weg dahin aussehen wird. Aber er wird nur gelingen, wenn eines unverbrüchlich feststeht: Das sind doch Menschen.
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