Jahresrückblick

Angefangen hat alles im dichtesten Nebel. Wir sahen das Feuerwerk über dem Rheintal kaum von der Dachterasse der Freunde und die Hand nicht vor den Augen auf dem Heimweg am frühen Morgen. Grau und feucht und undurchdringlich lag der Nebel über dem Ort und dem Land und keiner hat geahnt, dass das überraschend lange so bleiben würde in diesem Jahr.

Reisen hatte ich geplant, viele, eine besondere, lange zu einer Konferenz mit beeindruckenden Frauen von allen Kontinenten. Gewesen bin ich dann in Hannover (zum Singen, es klingt wie ein ferner Traum), in Rom und auf Norderney. Auf der Fähre auf dem Rückweg habe ich zum letzten Mal jemand anderen umarmt als den Lieblingsmenschen. Der 13. März war das.

Ab dem 14. März verschwimmt dann die Zeit, klebt zusammen wie Brei, wird undurchdringlich wie Nebel. Was habe ich viel erklärt und gezeigt und herausgefunden und umkonzipiert und hintereinander weggearbeitet, was anfiel, das geplante und so viel ungeplantes. Was habe ich viel funktioniert, muss ja, geht ja nicht anders. Pläne geschmiedet und fallengelassen, Ideen im Abstellraum geparkt, Besuche verlegt und dann abgesagt. Blogtexte angefangen und nicht zu Ende gedacht, nicht zu Ende geschrieben.

Doch wie das im Nebel so ist, ragen einige Ereignisse heraus, sind besser sichtbar als andere. Wie Leuchttürme, die man weithin sehen kann und die Licht werfen auf das, was im Schatten der Zeit versunken ist.

Der virtuelle Geburtstag ganz zu Beginn des Lockdowns. Die Osternacht in unserer Hauskirche, in der ich das Exsultet sang und der Lieblingsmensch die gregorianischen Choräle.

Der Ostersonntag, der nicht Jubel, sondern Tränen brachte, denn das Virus, dem ich so viele Schimpfworte gegeben habe, nahm jemanden aus meinem Herzen mit.

Lange Spaziergänge über die Felder. Ein musikalischer Haustürbesuch und Videodates mit lieben Menschen. Virtuelle Spieleabende. Igor Levits Hauskonzerte und TRänen zu Morton Feldmann.

Dankbarkeit für berufliche Sicherheit und den neuen Verantwortungsbereich. Respekt vor den Kolleg*innen, die systemrelevant und trotzdem so oft ungesehen sind und nicht nachlassen in ihrem Einsatz.

Der erste Besuch auf der Terasse, mit Abstand und Fraisier. Überhaupt half mir Backen immer wieder, den Bezug zum Jetzt nicht zu verlieren und mich auf kleine, konkrete, messbare, planbare Dinge zu konzentrieren.

Das Glitzern der Morgensonne auf dem Rhein an den vielen Fahrradpendeltagen und französisches Frühstück auf einer Caféterasse.

Tage am Meer, zu dem wir keinen Abstand halten müssen. Mit Schafen und einem Sturmtag und Seehunden.

Ein Frauen-Krafttank-Tag und immer wieder Stärkung beim Freitagsritual.

Zusammenhalt und Nähe in der Distanz bei neuen schlechten Nachrichten. Ein Abend mit einer Freundin am Rhein und wahrhaftig ein Theaterabend in einem luftigen Zelt.

Vespergebet vor der Kapelle an Sommer- und Herbstabenden.

Und dann, am Ende des mez du, des schwarzen Monats, wie die Bretonen den November nennen, und der auch in mir so dunkel war, Gefährtinnen in meinem Internet und die Erneuerung eines Versprechens. So schlicht und doch so bewegend, stärkend, tröstend.

Noch eine Frauen-Video-Runde ist da plötzlich, für die ich mehr werde als die Technikfee und die Erklärbärin und die den Blick weitet.

Weihnachtspost, so viel Weihnachtspost. Mit Worten, die die schönsten Geschenke sind.

Vor allem Menschen. Die nahe sind, egal wie viele Kilometer uns trennen. Die mir Hoffnung geben und Trost sind und Freude bringen und gemeinsames Lachen. Die an mir festhalten, auch wenn ich nichts festhalten kann. Die mir mein Schweigen nicht übel nehmen (ich habe tagsüber so viel geredet, dass abends oft keine Worte übrig waren) und die Distanz überwinden. Denke ich zurück an das Jahr, sind es diese Menschen – altbekannte und neue, nahe und ferne, regelmäßige und selten gehörte, die durch den Nebel scheinen, sichtbar sind, mein Herz zum Schwingen gebracht haben.

Das Jahr endet grau und verregnet, mit einer stärkenden Aufmerksamkeit im Briefkasten und einem Silvester-Care-Paket für die Freunde, deren Dachterasse ohne uns auskommen muss. Und mit Hoffnung – nicht alles wird morgen anders, aber mit den Leuchtturm-Menschen um uns herum bin ich zuversichtlich, dass der Sturm uns nicht zerbricht.

Danke an euch, ihr wisst, wer ihr seid.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert