Archiv für den Monat: Januar 2022

Gedanken über Autos, individuelles Reisen und meine großartige Oma

In den letzten Wochen ergab es sich, dass ich mit verschiedenen Menschen über Verkehr und Verkehrsplanung sprach. Also genauer gesagt über Individualverkehr und ÖPNV. Wir wohnen auf dem Land zwischen zwei Großstädten und der ÖPNV hier ist – freundlich formuliert – eher unterirdisch. Ohne Auto komme man da doch gar nicht klar, sagen viele und habe ich auch bis vor gar nicht so langer Zeit gesagt. Und es stimmt, wollte man mit Bussen (seltener Takt, wenig einkaufs- und überhaupt erledigungstaugliche Fahrtstrecken) und Bahnen (dreimal die Stunde, extrem oft verspätet, häufiger Ausfall, immer überfüllt, so dass man gar nicht so selten erst überhaupt nicht hinein kommt) unterwegs sein, wäre man hier aufgeschmissen. Zum Getränkemarkt fährt kein öffentliches Verkehrsmittel, auch nicht zum Einkaufszentrum auf der grünen Wiese. Nur alle 2 Stunden zum Ärztehaus mit den Fachärzten ein paar Dörfer weiter und nach 18 Uhr sowieso kaum noch was.

Wir haben nur ein Auto – eine seltene Ausnahme in unserem Bekanntenkreis hier im Dorf. Und es steht meist in der Garage (auch so ein Luxus). Denn der Lieblingsmensch ist ein großer zu-Fuß-Geher und erledigt Vieles per pedes und ich habe mir im ersten Pandemiesommer ein eBike gekauft, mit dem ich nun auch ins rund 25 Kilometer entfernte Büro pendle – wenn ich denn überhaupt dort arbeite. Der Ehrlichkeit halber: Bei weniger als 7 Grad und bei Regen, der über ein bisschen nieseln hinausgeht, nehme ich das Auto. Wobei sich für den Weg durch die große Stadt der Hybrid wirklich auszahlt. Beim Spritverbrauch und beim Senken meines Gereiztheitsheitsfaktor. Seit ich beim Stop and Go durch den Berufsverkehr kaum noch Abgase ausstoße, nervt mit das deutlich weniger. Und: Es gibt nun auch in unserem kleinen Dorf eine Carsharingstation in der Dorfmitte und Leih-eBikes am Bahnhof. Da kommt also etwas in Bewegung.

Über was ich allerdings häufiger nachdenke, ist eine Erinnerung aus meiner Kindheit. Ich bin am Fuße des Schwarzwalds großgeworden und meine Großeltern lebten im Saarland. Weder meine Großmutter noch mein Großvater hatten einen Führerschein. Und natürlich auch kein Auto. Eine Bahnstation gab es in ihrem Dorf nicht und Busse zum nächsten Bahnhof waren eine teure Rarität. Trotzdem waren meine Großeltern in meiner Kindheit häufig bei uns. Möglich wurde das durch die Kreativität und die großartige Chuzpe meiner Oma.

Die hatte nämlich herausgefunden – wahrscheinlich durch Freundinnen und Bekannte, die solche Touren schon mitgemacht hatten – dass Kaffeefahrten in den „schönen Schwarzwald“ meist in einem der deutlich weniger grandiosen Orte rund um mein Heimatdorf Station machten, um in irgendeinem Weinlokal Heizdecken und Co. zu verkaufen. Meine Oma buchte also eine Kaffeefahrt, freute sich an der Tour durch die Pfalz, den Odenwald und dann durch schöne Fachwerkdörfer und an der durchs Busfenster vorgeführten Schwarzwaldromantik. Sobald der Bus an einem der Ausflugslokale anhielt und die Verkaufsschau begann, setze sie sich ab, rief von einer Telefonzelle meine Eltern an, beschrieb, wo sie war und wir konnten sie abholen. Bei der nächsten Kaffeefahrt bucht sie wieder einen Platz und fuhr damit zurück.
Ganz im Ernst, was hatte ich für eine coole Oma.

Eine andere Option war der Schülerbus. In meinem Heimatdorf gab es ein Internat, in das viele Schüler aus dem Saarland gingen und eben auch einige aus dem Dorf meiner Großeltern. Am Ende der Ferien sammelte ein Busunternehmen die Schüler (gendern unnötig, es war eine Einrichtung nur für Jungs) ein und brachte sie ins Internat. Meist war noch Platz im Bus und so fuhren meine Großeltern mit lauter jungen Menschen gen Süden. Meine Eltern brachten sie dann einige Zeit später zurück und verbanden das mit einem Besuch bei alten Freunden. Eine andere Option war es, mit dem leeren Bus vor Beginn der Ferien zu uns zu fahren – zum Beispiel zu Beginn der Osterferien. Während der Bus die heimfahrenden Schüler einsammelte, gingen meine Eltern, meine Schwester und ich an die Bushaltestelle vor der Schule und sammelten Oma und Opa ein. Am Ende der Ferien spuckte der Bus die zurückkehrenden Schüler aus und nahm meine Großeltern mit zurück.

Im Eifeldorf, in dem mein Vater groß wurde und in dem ich oft Sommerferienzeit verbrachte, wurde das ÖPNV-Problem anders gelöst. Da mussten nicht die Dorfbewohner schauen, wie sie zum Einkaufen fahren konnten, da kam der Einauf zu ihnen – in Form eines LKWs der regionalen Milchunion. Der wurde aufgeklappt und da stand ein kleiner, aber gut ausgestatteter Supermarkt auf dem Dorfplatz. Natürlich gab es frische Milchprodukte, aber auch Brot und alles andere, was man so für den Alltag brauchte. Als Kind fand ich es großartig, mit meiner Tante dort einkaufen zu dürfen. Aber auch in der Sonne zu sitzen und zuzuschauen, was andere so kauften und dabei ab und zu eine der streundenden Katzen zu streicheln, die auf eine zerplatzte Milchtüte oder ein Stückchen Wurst hoffend auf dem Platz herumlungerten, war ein wunderbarer Zeitvertreib.

Damals war also viel weniger Individualverkehr und mehr individuelle Initiative. Ich frage mich, wie wir Möchte-Gern-Klimaschützer*innen uns von diesem Einfallsreichtum hier und heute die ein oder andere Scheibe abschneiden könnten.

 

Bemerknisse aus einer analogen Welt

Die Nachricht an sich ist schon schockierend genug: Ein geliebter Mensch muss notoperiert werden. Das ist schon in „normalen“ Zeiten schwer. Und jetzt ist da auch noch eine Pandemie. Und Feiertage. Ein paar Bemerknisse aus dem überraschend analogen Wahnsinn drumherum.

Der Hospitalisierungsindex am Zielort klingt nicht besonders beunruhigend, 2,4 (leicht steigend) – das ist der niedrigste von allen Orten, die ich in der Corona-Warn-App gespeichert habe, um mir schnell ein Bild über die Lage am Wohnort von lieben Menschen machen zu können. Ein gutes Stück unter dem Bundesdurchschnitt. Ähnlich sieht es bei der Zahl der Neuinfizierten aus.  Trotzdem ist die Intensivstation so voll, dass ein älterer Patient mit hohem Überwachungsbedarf schon nach einer Nacht nicht mehr dort bleiben kann. Was ich mehr oder weniger als erstes verstehe: Der „niedrige“ Hospitalisierungsindex bedeutet in der Realität absolut nicht das, was ich mir darunter vorgestellt hatte.

Dass dieser Patient, der mir so sehr am Herzen liegt, überhaupt in dem kleinen, seinem Wohnort nahen Krankenhaus operiert und behandelt werden konnte, gleicht einem Wunder. Andere Patienten mussten im gleichen Zeitraum abgelehnt, weitergeschickt, an andere Orte verwiesen werden. Geplante Operationen wurden auch dort verschoben. Dass diese eine sich nicht planen ließ, sondern wie ein Blitz über uns hereinbrach – wer hätte gedacht, dass so etwas mal was Positives sein sollte.

Die Station ist nur mäßig besetzt. Das liegt, wie an so vielen ähnlichen Orten auch, nicht an fehlenden Betten, sondern an fehlendem Personal. Abgezogen, umbesetzt. Auf die Intensivstation. Auf die Isolierstation. Das mit dem Hospitalisierungsindex und der großen Differenz zwischen Vorstellung und Wirklichkeit hatten wir ja schon.

Das Personal ist unglaublich freundlich und geduldig. Bei Genesungsspaziergängen über den Flur sehe ich aber auch, wie schnell sie laufen müssen, um allen Klingeln und roten Lichtern gerecht zu werden. Meine Bewunderung für diese Menschen war schon vorher enorm und ist noch gewachsen.

Zum Einlass ins Krankenhaus braucht man:

  • Impfnachweis (vollständig)
  • Negativen Testnachweis  in Papierform (!) – Schnelltest nicht älter als 24, PCR nicht älter als 48 Stunden
  • Ausweis
  • einen ausgefüllten Zettel mit den persönlichen Daten sowie Infos zum besuchten Patienten für eine mögliche Kontaktnachvervollgung

Ich finde die Zugangsvoraussetzungen an sich ganz wunderbar und unbedingt unterstützenswert. Aber dass ich das Testergebnis nicht digital vorzeigen kann, ist doch ein wenig frustrierend. Die Papierpflicht bringt mit sich, dass ich bei einem der (zum Glück in der Stadt zahlreich vorhandenen) Testzentren bei Kälte, Regen oder Hagel unter einem schon leicht zerfetzten Sonnenschirm oder in einem kleinen Wartezelt mit unangenehm vielen Menschen auf engem Raum auf mein Testergebnis warte und nach gut 15 Minuten ein vom Regen klammes und einmal gar von Hagelkörnern durchschlagenes Papier in die Hand gedrückt bekomme. Die Empfangsmenschen in der Klinik müssen das dann einscannen, speichern und irgendwann händisch wieder löschen. Impfnachweis und Ausweis werden in Augenschein genommen und der Besuch beim Patienten im System vermerkt. Einchecken mit der Corona-Warn-App, die Möglichkeit, einen digitalen Testnachweis vorzuzeigen oder irgendeine Lösung, die den vermutlich sowieso bis zum Anschlag belasteten Mitarbeiter*innen die Arbeit erleichtern würden? Fehlanzeige. Es funktioniert alles, aber praktisch ist doch irgendwie anders.

Das Testzentrum zu Hause mit seiner Online-Terminbuchungsoption, Benachrichtigungmail, sobald das Testergebnis vorliegt und QR-Code zum Abrufen des Ergebnisses, das bei entsprechender Zustimmung direkt heruntergeladen und in die Corona-Warn-App eingetragen werden kann, sowie der Zusicherung, dass die gespeicherte Daten nach den gesetzlich vorgeschriebenen Speicherfristen automatisch gelöscht werden, wirkt dagegen wie aus einem Science-Fiction-Film entsprungen.

Das Gegenteil von Science-Fiction bietet der Parkautomat auf dem Krankenhausparkplatz. Nach dem Ende der Besuchszeit bildet sich dort eine kleine Schlange. Die Dame vor mir kann nicht bezahlen, da ihr Kleingeld fehlt. Ich habe selbst nur gerade eben genug, um mein Ticket zu bezahlen. Ein freundlicher Herr mit Hut spaziert vorbei. Der rät der Dame, doch einfach mit Karte zu zahen. Doch ach: Der Automat hat gar keine Kartenzahloption eingebaut. Scheine nimmt er auch nicht (ein entsprechendes Fach ist zwar vorhanden, aber nicht funktionsfähig) und eine digitale Lösung zur Bezahlung wird nirgends angeboten. Der Herr kramt sein Portemonnaie hervor und kann tatsächlich einen 5-Euro-Schein in Münzen wechseln. „Das ist ja wie im Mittelalter“ schimpft er, als er weitergeht.

Beim abendlichen Nachrichtenschauen fällt mir dann noch auf: Testzentrum ist nicht gleich Testzentrum. Während die einen pflichtbewusst die Stäbchen tief in Nase und/oder Rachen stecken, geht es bei anderen so ruckizucki, dass es an ein Wunder grenzt, wenn das Testgerät überhaupt mit der Schleimhaut in Berührung gekommen sein sollte. Wird das überhaupt irgendwie kontrolliert? Wenigstens stichprobenartig? Und was bedeutet die Antwort für die in diesen Tagen von der MPK beschlossenen neuen Quarantäneregelungen? Ich versuche, nicht darüber nachzudenken und empfehle derweil gerne anderen, die einen Test brauchen, die Stationen, wo ich mich  gewissenhaft getestet gefühlt habe – und wo man meinen Namen und das Testergebnis nicht laut durch die Reihe der Wartenden gerufen hat.

Eins noch zum Schluss: In Anbetracht des allerbesten Bemerknisses der Woche, des Monats, vermutlich des ganzen Jahres, wird das alles irrelevant. Denn: Die wunderbaren Menschen in der Klinik haben dafür gesorgt, dass unsere Sorgen in wenigen Tagen zusammenschrumpfen konnten. Dafür bin ich allen Beteiligten sehr, sehr dankbar.