Auch wer weder jüdisch noch christlich aufgewachsen ist, kennt vermutlich die sprichwörtliche babylonische Sprachverwirrung. Die Geschichte vom Turmbau zu Babel, an deren Ende die Menschen sich nicht mehr verstehen können, weil jede:r eine andere Sprache spricht.
Ich habe neulich mal wieder festgestellt, dass das mit dem Nicht-Verstehen gar nicht unbedingt an der Sprache liegen muss. Ich saß mit fünf anderen Frauen an einem Tisch. Wir hatten keine gemeinsame Sprache, also keine Sprache, die wir alle beherrscht hätten. Zwei sprachen Slowakisch, eine Koreanisch, zwei Deutsch und eine Hindi als Muttersprache. Manche sprachen italienisch, andere spanisch, wieder andere englisch und mache der Sprachen verstand die eine oder andere, solange die anderen langsam sprachen.
Und wir hatten alle Hände und Füße und gute Laune. Mehr brauchte es nicht, um einen wunderbaren Abend zu verbringen. Wir haben viel voneinander erfahren – von unseren aktuellen Lebensabschnitten, von dem, was uns bewegt, was wir erhoffen, wovon wir träumen. Da war nicht nur Small Talk, wir wurden ganz schnell wesentlich. Wir kannten uns teilweise vorher, teilweise „nur“ online. Aber trotz des Sprachwirrwarrs habe ich keinen Graben wahrgenommen.
Ich habe diesen Abend, diese Tage sehr genossen. Und ich habe darüber nachgedacht, warum das so gut funktioniert hat. Mit Sicherheit hatte einen wichtigen Anteil, dass wir nicht einfach zufällig zusammenfanden, sondern alle zur Mary-Ward-Familie gehören. Wir lassen uns inspirieren vom Vorbild dieser Frau im 17. Jahrhundert, die neue Wege ging, wo vorher keine waren. Die Grenzen überwand und andere damit ansteckte. Die Solidarität lebte und erfuhr. Und wir wollen das auch.
Ein weiterer wichtiger Grund war sicher, dass dies für uns alle nicht unsere erste internationale Erfahrung war. Wir hatten schon erlebt, dass Sprachbarrieren fallen oder überwunden werden können. Wir alle kannten und kennen das Gefühl, dass Erinnerungen nicht nur visuell sondern auch mit Worten und Sprachen gespeichert werden und unser Herz wärmen können. Wir haben uns getraut – und den anderen ohne Nachdenken zugemutet – zu sagen, wenn wir nicht mehr mitkamen, etwas Wichtiges verpasst hatten. Dann übersetzte eine andere in eine Sprache, die die Fragende verstand. Wir haben im Notfall mit den Händen erklärt und im Zweifel mit dem Herzen gesprochen. Und wir haben viel gelacht – trotz manch schwerer Themen.
Wir waren zudem alle für Technologie offen. Wenn wir irgendwo absolut stecken blieben, war es völlig OK, dass wir das Smartphone zückten und eine für unsere Sprache besonders geeignete App befragten. Das führte nicht zu wilden Diskussionen und grundsätzlicher Ablehnung, sondern war einfach ein Hilfsmittel, Punkt.
Vor allem aber war da eine Art stilles Einverständnis, dass wir wollten, dass unser Austausch gelingt. Es stand gar nicht infrage, dass unsere Neugier aufeinander, unser Wunsch, mehr voneinander zu erfahren, unsere Bereitschaft, Freundschaft entstehen und wachsen zu lassen, größer war als die sprachlichen und kulturellen Differenzen. Da saßen Menschen zusammen, die alle die Grundüberzeugung mitbrachten, dass Verständigung möglich ist, dass Konflikte gelöst werden können, dass Freundschaft – egal wie schwer sie errungen wird – immer weiter trägt als Feindschaft und Konkurrenz. Scheitern wir, die wir da saßen, immer wieder an diesem Anspruch? Na klar. Das hält uns aber nicht davon ab, es immer wieder neu zu versuchen.
Mein Herz hüpft bei solchen Begegnungen, weil eben so viel mehr möglich ist, als die aktuelle Welt- und Nachrichtenlage vermuten lässt.
Eine Frage aber bleibt: Wie lässt sich diese Art der Verständigung, des Einverständnisses, der Solidarität und Zugewandtheit skalieren? Was kann ich dazu beitragen, dass diese Möglichkeit nicht in meinem kleinen, privaten Rahmen bleibt, sondern in die Geschichtsbücher wandert? Auf der Arbeit würde ich fragen: Wie lässt sich diese Erfahrung skalieren? Wie kann aus vielen kleinen Barrieren-überwinden-„StartUps“ eine globale Marktmacht werden? Damit nicht nur die brutale Realität des Unverständnis überliefert wird und überlebt, sondern eine Wirklichkeit, in der Menschen einander die Hände halten, Tränen trocknen, Kälte wegwärmen, Freundschaften pflegen und Herzen. Egal in welcher Sprache.