Gestern in Belgrad. 36 Grad im Schatten. Davon gibt es aber nur wenig. Hier im Park stehen einige große Bäume. Überall dort, wo ihre Zweige Schatten spenden, sitzen und liegen Menschen. Junge Männer in kleinen Gruppen, ganze Familien, einige mit Igluzelten, manche mit Decken. Über Zweigen und Zäunen hängen mit der Hand ausgewaschene Kleider. An einem kleinen Holzinfostand stehen Trauben von jungen Männern, laden ihre Handys auf, erkundigen sich danach, wo welche Grenze vielleicht geöffnet sein könnte.
Freiwillige Helfer verteilen Tüten mit Lebensmitteln. Wasser und Apfelsaft. Windeln. Obst. Und Butterkekse. Ganze Päckchen mit Butterkeksen. Jedem Kind im Park drücken sie eine Kekspackung in die Hand. Unter einem Baum einige Schritte entfernt lehnt ein Mädchen, vielleicht 5 oder 6 Jahrer alt, das Geschenk ab. Seine kleine Schwester hat ja schon eine Schachtel. Mit den Händen tut sie so, als wolle sie die Packung durchbrechen. Die Kleine schaut sich ernst um, zeigt auf die Kinder unter dem nächsten Baum. Die haben noch nichts bekommen. Ihre Gesten sagen deutlich: Geh dorthin, gib ihnen die Kekse. Wir haben ja schon welche. Wir teilen.
Aber die Helferin in dem leuchtend gelben T-Shirt geht nicht weiter. Sie hat einen großen Karton mit den begehrten Süßigkeiten dabei. Und sie ist nicht die einzige Helferin im Park, deren Arme voll sind mit großen gelben Boxen. Dank einer großzügigen Spende gibt es Kekse genug. Genug für jedes Kind im Park. So viele Kekse, dass man sie nicht teilen muss. Die Helferin drückt jeder der Schwestern eine eigene Packung in die Hände. Die kleinere der beiden lacht fröhlich. Stolz hält sie ihr Geschenk und dreht sich lachend damit im Kreis. Ihre größere Schwester bleibt still. Hält das süße Wunder fest in beiden Händen. Schaut und schaut und schaut. Kann es gar nicht fassen. Sitzt unter dem Baum und hält den unerwarteten Schatz fest umklammert. Schaut auf ihre Schwester und deren Hände. Schaut zurück auf ihre eigenen Hände. Und da ist es. Groß und innig und leuchtend. Ihr Lächeln.
Natürlich lösen Kekse keine Krisen. Sind die Pakete nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ist die Situation komplex und Auswege nicht in Sicht. Die Grenzen sind immer noch schwer zu überwinden, die Zukunft genauso ungewiss wie zuvor. Aber für einen kleinen Moment sind die Kekse mehr als eine Sachspende, ist die Verteilung mehr als eine Aktion einiger Freiwilliger. Für einen winzigen Moment zählt nur eines: Das Glück in den tränendunklen Augen des kleinen Mädchens unter einem Baum irgendwo in Belgrad.
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