Der Tag beginnt mit der Nachricht, dass der Papst verstorben ist. Eine Nachricht, die mich persönlich nicht in Trauer versetzt. Ich habe es diesem alten Herrn gewünscht, dass er friedlich sterben darf und nach allem was man hört, ist ihm das wohl vergönnt gewesen. Ich kenne Menschen, die Jorge Bergoglio seit langem gut kannten. Ich weiß um andere, die ihm in den Jahren als Papst Franziskus immer wieder begegnet sind, ihn auch als Mensch kennenlernten. Die nun um einen Freund trauern. Ich fühle mit ihnen.
Wir profitieren davon, dass heute Feiertag ist und sehen uns eine Sondersendung im Fernsehen an. Die Auswahl ist groß. Auf fast allen Kanälen wird des Verstorbenen gedacht. Es gibt Rückblicke auf sein Leben und seine Zeit als Papst. Immer und immer wieder. Da wird über ein „Kirchenoberhaupt“ berichtet, als spielte es eine Rolle für weite Teile der Gesellschaft. Da werden seine letzten Botschaften an den Ostertagen zitiert, als hätten sie ohne seinen Tod irgendeine Bedeutung für die Öffentlichkeit gehabt.
Man zitiert Politiker:innen – von denen einige wohlwollend genickt haben dürften, als die neue Bundestagspräsidentin den Kirchen und Religionsvertreter:innen vor wenigen Tagen einen Maulkorb verpassen wollte. Die Kirchenleute sollten nicht über Politik reden, sondern schön bei ihren Leisten bleiben. Dass die Botschaft von Nächstenliebe, Zuneigung, Solidarität und Menschlichkeit in ihrem Wesen zutiefst politisch ist, wurde dabei nonchalant vom Tisch gewischt.
Statt über die Frage, wie man Jesu Vorbild irgendwie für die Gesellschaft lebbar machen könnte, streitet man öffentlichkeitswirksam darüber, ob der Osterhase auch Schokohase, Sitzhase, Goldhase oder sonstwie heißen darf, ohne dass die Welt beim ersten Knistern der Verpackungsfolie untergeht.
Wenn Menschen in meinem Umfeld mich auf das Kreuz ansprechen, das ich um den Hals trage, dann in den seltensten Fällen, weil auch sie einen Glauben haben (und noch seltener ein christliches Bekenntnis). Viel häufiger werde ich gefragt, wie ich in einer Kirche sein und bleiben kann, die Missbrauch zuließ, vertuschte und bis heute viel zu oft das eigene Image vor das Leid der Betroffenen stellt. Wie ich feministische T-Shirts tragen, eine berufliche Leitungsposition bekleiden, auch im Alltag gendern und dann doch in einer derart misogynen Institution Mitglied sein kann. Gespräche darüber, die über Vorwürfe hinausgehen, ergeben sich selten. Kirche taugt als Empörungskatalysator, aber besonders effizient ist der nicht. Das Interesse verpufft schnell.
Ich vermute, dass das nicht nur in meinem Umfeld so ist. Ein Zeichen dafür ist, dass in den TV-Beiträgen heute häufig Menschen zu Wort kommen, die in der „Bauchbinde“ als Vatikan-Expert:innen bezeichnet werden. Sie haben eigentlich andere Titel, doch diese sind so gut wie keinem mehr bekannt, der nicht aus irgendwelchen Gründen in kirchliche Strukturtiefen abtauchen musste. Allgemeinwissen sind sie nicht. Auch nicht die Vokabeln, die da mit staunenden Kunstpausen ausgesprochen werden. Konklave (gerne mal in der weiblichen Form „die“ Konklave genannt – es kommen ja sonst wenig genug Frauen vor). Camerlengo. Sedisvakanz, …
Wer kommt jetzt und was passiert dann, ist eine der zentralen Fragen. Immer wieder erzählen die „Expert:innen“ dann, dass die Westeuropäer da ganz andere Wünsche hätten als der Rest der Welt. Ich erinnere mich an die weltweite Umfrage vor der Familiensynode, an die Ergebnisse der Amazonas-Synode, an die Gespräche mit Frauen von allen Kontinenten, die ich in der Mary-Ward-Familie kennengelernt habe. Sie haben gar nicht so extrem andere Vorstellungen. Natürlich gibt es keine Übereinstimmung in allen Details. Aber die Sehnsucht, dass Jesu Botschaft mehr im Mittelpunkt stehen möge als verstaubte Regeln und bürokratische Vorgaben, eint alle. Die Überzeugung, dass Veränderung nicht Untergang, sondern neue Möglichkeiten zum Erfüllen von Jesu Auftrag bringen könnte, ist nicht exklusiv auf eine Weltregion begrenzt. Der Wunsch, Gott den Allmächtigen nicht zu einem geizigen Krämer herabzustufen, der von Vorschriften und Verboten lebt, ihn vielmehr als Geistkraft, Lebensspenderin, Befreierin, Trösterin, Begleiterin erfahrbar zu machen, war in allen weltweiten Rückmeldungen ablesbar.
Mit diesen Berichten und Erfahrungen im Ohr und im Herzen wundere ich mich sehr über diese so lässig dahingeplapperten „Expertisen“. Da werden Klischees wiederholt, die schon bei Tod von Johannes Paul II. gerne genannt wurden und die damals schon nicht passten.
Statt Oster-Wunder gibt es also heute bei mir Osterwundern. Ich wundere mich darüber, dass der Tod eines prominenten Katholiken (DES prominentesten Katholiken, schon klar) auch heute noch zu einer tages- und seiten-füllenden Sonderberichterstattung führt. Ich wundere mich darüber, dass Journalist:innen aller Medienarten den Tod des Papstes routiniert abhandeln und die großen Fragen der Menschheit stellen, ganz so als hätten die Auswirkungen eine Bedeutung für eine relevante Anzahl von Menschen. Ich wundere mich, dass immer wieder auf die besondere Bedeutung des Engagements von Papst Franziskus für Natur und Klima, für arme und ausgestoßene, vergessene und unterdrückte Menschen hingewiesen wird, dass die Menschen, für die er sich stark machte, aber selbst nie zu Wort kommen. Morgen werden die gleichen Medienvertreter:innen vermutlich die migrationsfeindlichen Worte von Politiker:innen ohne weitere Einordnung wiederholen.
Der Tod des Papstes und die Berichterstattung über Aufbahrung, Begräbnis und Neuwahl wird in den kommenden Tagen vermutlich zu einem Yellow-Press Phänomen werden. Vielleicht stellt sich ja ein Promi in die Kondolenzschlange, wie David Beckham bei der Queen und wir lesen das dann als Eilmeldung. Vielleicht drängelt ein C/D/E-Z-Promi sich vor und schreibt mit einem Füller seines aktuellen Hauptsponsors ins Kondolenzbuch und das Foto wird zum Thumbnail in einer Mediathek. Wundern würde mich das nicht.