Es ist hell in der Kapelle. Einige Plätze sind schon besetzt, immer wieder öffnet sich die Tür und weitere Beterinnen kommen herein. Pünktlich um 6 Uhr sind alle da. Eine von ihnen beginnt mit der Einleitung zum Glaubensbekenntnis. Die anderen stimmen ein. Fensterseite und Türseite immer im Wechsel beten sie den glorreichen Rosenkranz.
Ich bin zum Arbeiten gekommen. Und wir haben intensiv gearbeitet, gedacht, gesprochen, geschrieben. Ein kleines Abendessen, dann gemeinsames Gebet. Ich beginne, die so vertrauten Worte mitzusprechen. Und merke: Nach einem langen Tag voller Gedanken, Planungen und vor allem voller Worte möchte ich nicht mehr reden.
Ich bleibe aber sitzen, höre zu, denke mit. Nach dem ersten Vaterunser löscht eine der Schwestern das Licht. Vier Kerzen erleuchten die Kapelle, den Tabernakel, das Kreuz. Lassen uns Beterinnen im Dunkeln verschwinden.
Eine Erinnerung, die ich lange vergessen hatte, kommt mir in den Sinn: In der Wohnküche des Bauernhofs, auf dem mein Vater aufgewachsen ist, sitzen wir alle nach dem Essen um den großen Tisch. Mein Großvater legt das Besteck zur Seite, rückt seinen Stuhl mit den gerundeten Armlehnen zurecht und stimmt das Vaterunser an. Wie im Rosenkranz bricht er vor der Doxologie ab und beginnt ein Ave Maria. Ich erinnere mich, dass ich bei jedem Besuch wieder staunte über diese ganz andere Art des Tischgebets als ich sie von Zuhause kannte. Und wie wir Enkelinnen danach auf Opas Schoß krabbelten, damit er uns ein Märchen erzähle, bevor er in seinem Lehnstuhl ein Mittagsschläfchen machte.
In der kommenden halben Stunde lasse ich mich tragen vom Gebet der Schwestern, vom Licht der Kerzen, von der Gemeinschaft, die durch das Sagen der immergleichen, uralten, bangenden, hoffenden, heilenden Worte entsteht. Ich lasse mich fallen und fühle mich aufgefangen, mit hineingenommen, dazugehörig. Gehalten, wo ich nicht stolperte, getröstet, wo ich keine Trauer mitbrachte, erfüllt, wo ich vorher keine Leere gespürt hatte.
Die Gebetsgemeinschaft, in der ich einfach sein darf, macht es mir leichter, aktuelle Fragen in mir nicht mit dem Verstand anzuschauen, sondern – es klingt so kitschig, aber ein besseres Wort finde ich nicht – mit dem Herzen. Ich sitze auf der Holzbank, mit geradem Rücken, eingewickelt in meinen warmen Schal, und erkenne, welche Gefühle sich regen, ohne gleich das Bedürfnis zu haben, diese einzusortieren, zu bewerten, zu gestalten.
Die Verbundenheit im Gebet spüre ich zwar auch, wenn ich morgens meditiere, aber unerwartet so tief hineinzutauchen und diese Stärkung in den Alltag mitzunehmen, das war schön.