Archiv für den Monat: Juli 2025

Nein. Doch. Oooh.

Als Kind habe ich nicht viel ferngesehen. Der Fernseher stand in einem Schrank im Wohnzimmer hinter verschlossenen Türen. Was wir aber immer wieder sehen durften waren die Filme mit Louis de Funès. Nein. Doch. Oooh war bei meiner Schwester und mir ein geflügeltes Wort, lange bevor wir wussten, was Meme-Kultur ist.

Nein. Doch. Oooh. Drei kleine Worte, die doch so viel ausdrücken. Slapstick natürlich. Aber auch, dass Menschen sich zuhören und wirklich hören können, was der oder die andere da sagt. Nein. Doch. Oooh. Da schwingt die Möglichkeit mit, die eigene Meinung zu überdenken. Zumindest aber die unverhohlene Überraschung, dass das Gegenüber zu einer völlig anderen Einschätzung kommt. Dass der oder die andere ein Mensch ist, der eine ganz konträre Meinung vertritt, mit Überzeugung und vielleicht auch zurecht.

Mir ist bei den aktuellen politischen Debatten neulich dieses Zitat, diese Szenen, die es in verschiedenen Filmen mit unterschiedlicher Intensität gibt, wieder eingefallen. Und ich habe gedacht, wie schön es wäre, wenn wir wieder ein wenig mehr von dieser Art des Dialogs hätten. Nein. Doch. Oooh. Wie oft ziehen die handelnden Akteure – vor allem die aus dem konservativen Lager – sich auf den ersten Teil der Situation zurück. Es bleibt beim Nein. Erst überzeugt. Dann bockig. Dann stur. Oder in einer anderen beliebigen Reihenfolge. Verantwortung übernehmen für Fehler, die man begangenen hat? Nein. Keine Fehler. Es will nur keiner verstehen, wie toll das eigene Handeln war. Ich hab doch nur Masken gekauft. Das wolltet ihr doch. Machtmissbrauch im Amt? Nein.

Eine Kampagne der extremen Rechten, der wir aufgesessen sind, um eine qualifizierte Frau, deren Position wir nicht zu 100 Prozent teilen, auf einer führenden Position zu verhindern? Nein. Auf unsere Argumente sind wir ganz allein gekommen und nur zufällig zeitgleich. Das hat doch mit dem Geschlecht gar nichts zu tun. Und auch nicht damit, dass sie sich nicht offen gegen ein AFD-Verbot ausgesprochen hat. Neeeein.

Misstrauen gegen die Zivilgesellschaft. Ablehnung von Initiativen, die sich für Menschenrechte, Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, gegenseitigen Respekt oder Vielfalt einsetzen. Nein. Das verstehen Sie ganz falsch. Irgendwas mit Neutralität und Zirkuszelt. Dass andere mit Recht eine gegenteilige Haltung vertreten könnten? Nein. Nein. Nein.

Standesvertreter der Bauern klagen über die Dürre, sinkende Grundwasserspiegel, fehlende Perspektiven und Gelder. Die gleichen Standesvertreter die kein größeres Problem sahen im symbolischen Hängen von Politiker:innen, die nicht nur kurzfristige Zahlungen anstrebten, sondern grundlegende Veränderungen angehen wollten, um das Problem an der Wurzel zu bekämpfen (pun not intended, aber passt natürlich trotzdem). Konfrontiert jemand diese Typen öffentlichkeitswirksam mit dieser Absurdität? Nein.

Ich mag keine pauschale Medienkritik. Ich bin froh und dankbar für die vielen Journalist:innen, die Tag für Tag Fakten recherchieren und berichten; Die investigativ tätig sind und sich nicht von Macht einschüchtern lassen; Die Menschen und ihre Schicksale ins Bewusstsein der Öffentlichkeit holen, und so meine Perspektive erweitern, mir andere Blickwinkel ermöglichen, mich zum Nachdenken bringen. Aber mir fehlt in den letzten Wochen und Monaten allzu oft das Einordnen des Nein. Der sichtbare Wille, den offensichtlichen Unsinn nicht stehen zu lassen, sondern aufzudecken, mit Fakten zu kontern. Stattdessen lese, höre und sehe ich: He said. She said. Nein. Doch. Oooh. 

Dabei wäre Konfrontation mit den Widersprüchen so wichtig. Nicht einfach nur zu berichten: Die sagen Nein. Vielleicht noch: Jemand anderes sagt Ja. Ach so. Die Wirkung davon verfliegt, bevor sie entstehen konnte.

Natürlich gibt es Menschen, die Doch sagen. Laut und vernehmlich. Nicht nur ein paar wenige. Hunderte, tausende,  ja, wirklich: Millionen, die für die Bewahrung unserer Demokratie auf die Straße gegangen sind. Menschen, die die Widersprüche öffentlich machen. Die die vielen Neins nicht einfach stehen lassen. Die dem ihre eigene Meinung – und wichtiger, ihre Haltung – entgegensetzen. Menschlichkeit geht nicht? Doch. Respekt gegenüber Menschen, die anders sind als das, was ich erwarte, ist nicht möglich? Doch. Füreinander einzustehen statt Arme gegen noch Ärmere auszuspielen ist ein idealistischer Traum und kann niemals Realität werden? Doch.

Auf das staunende Oooh warte ich allerdings viel zu oft vergebens. Solche Menschen seien vorbei, höre ich stattdessen. Die Phrase scheint nicht alt zu werden und wird von den Nein-Sager:innen gerne wiederholt. Versifft seien die, die das Nein nicht einfach schlucken wollen. Zuhören und die Argumente der anderen wahrnehmen? Nein.

Nein und Doch finden mittlerweile in verschiedenen Sphären statt. Als sei ein Wurmloch dazwischen, das sich leider geschlossen hat. Keine Kommunikation möglich. Ein Dialog findet nicht statt. Die Möglichkeit zum Staunen, zum Innehalten und Reflektieren, geht  verloren. Oooh wird aus dem Sprachgebraucht getilgt; darf für die Neinsager:innen wohl ebenso  gerne vorbei sein wie die Doch-Sagenden.

Ich sitze hier, schaue Nachrichten, höre Podcasts, lese Berichterstattung. Und wünsche mir mehr französischen Film in Politik und Journalismus. Nein. Doch. Oooh.