Am Morgen ist die Regionalbahn sehr gut gefüllt, obwohl noch Sommerferien sind. Doch statt in die üblichen müden Pendlergesichter blicke ich in aufgeregte, junge Augen und strahlende Münder. Sie können kaum stillstehen, checken in ihren Handys wieder und wieder Hallenpläne und Standlisten, diskutieren über Prioritäten, wo man zuerst hinmuss, um „Merch abzugreifen“ und darüber, mit wem man unbedingt ein Selfie machen will und ob es eigentlich noch Selfie heißt, wenn man das Handy nicht selber hält, sondern ein Kumpel das Foto macht, denn das ist ja besser vong Qualität her.
Ich bin noch ein wenig verschlafen, aber dann fällt es mir ein: Es ist mal wieder GamesCom. Die Jungs (es sind kaum Mädchen und junge Frauen darunter) sind keine geübten Zugfahrer, an jedem Unterwegshalt muss der Lokführer durchsagen, dass die Lichtschranken freigemacht werden müssen, damit es weitergeht. Doch das hilft nicht. Neben mir greift sich ein beherzter Mann zwei Rucksackgriffe und zieht die Jungs von der Tür weg: „Lichtschranke ist das, wo ihr drin steht. Ihr kommt jetzt rein.“ Das neu gewonnene Wissen bleibt leider nicht hängen und so wiederholt sich die Szene an jedem Bahnhof, nur der Tonfall des Herrn im Anzug wird von Mal zu Mal etwas genervter.
In Köln kommt mir am Straßenbahnbahnsteig eine Gruppe junger Koreaner entgegen. Sie suchen nach jemandem, der Englisch kann. „Sorry Ma’am“ hat mich vermutlich auch noch niemand angesprochen. Sie wollen nach – vorsichtiges Stocken und Nachschauen auf dem Handy, wie mag man das Wort ‚Deutz‘ wohl aussprechen? GamesCom? sage ich. Sie sind ganz erstaunt und erfreut. ‚How do you know, we do not look nerdy.“ Ich versuche mit aller Kraft, nicht zu lachen und zeige ihnen, wo die Straßenbahn zum Messegelände abfährt, welche Nummer die Fahrzeuge haben und wie viele Stationen sie fahren müssen. Woran sie denn erkennen, dass sie angekommen sind, fragt einer. Keine Sorge, da wo viele Jungs mit schwarzen T-Shirts aussteigen, sage ich. Freundliches Lächeln, bevor sie mit einem lang gezogenen, gequiekten „Thank youuuuu“ über die grüne Ampel rennen und in die Bahn springen.
Am nächsten Morgen kommen die Jungs mir an fast der gleichen Stelle wieder entgegen – allerdings auf der anderen Straßenseite. Sie winken ausladend und schreien aufgeregt. „Hello Ma’am, do yo remember? Do you remember? Helloooooo“ Ich winke zurück – Have Fun! „We will!“
Auf dem Heimweg ist die Bahn wieder überfüllt. Nur schauen die blassen, schwarz gekleideten jungen Menschen jetzt nicht mehr in ihre Handys, sondern zeigen sich die ergatterten Schätze. Der eine hat ein Römerschild aus Pappe, der andere balanciert vorsichtig eine nahezu lebensgroße Plüschfigur seines Lieblingshelden auf seinen Schuhspitzen, wieder andere tragen Pappboxen mit „coolstes Merch wo ich kriegen konnte, voll abgefahren“, die Umstehenden stecken die Köpfe zusammen und ahen und ohen gebührend beeindruckt.
Schließlich zücken einige doch noch ihre Telefone, die sie gar nicht mehr zum Telefonieren nutzen, und checken ihre Kalender, man muss sich schließlich verabreden, um die neuen Spiele gemeinsam einzuweihen. Ein Mädchen nimmt sich stöhnend die blaue Langhaarperücke ab. „Alle hatten blau, nächstes Jahr nehme ich grün“, sagt sie zu ihrem Nachbarn. „Mir reicht’s, wenn dein Avatar bunte Haare hat“, nuschelt der zurück.
Ich steige aus dem Zug und schlendere lächelnd nach Hause. Der Lieblingsmensch hat zwar kein schwarzes Shirt an. Zu einem Spiel überreden lässt er sich trotzdem.