Wer mich kennt, weiß, wie selten ich sprachlos bin. Am vergangenen Freitag war ich es. Und bin es in gewisser Weise noch immer. Ich kann – und will – nicht einfach nacherzählen, was ich in Serbien erlebt habe. Daher bekommt ihr hier einige Eindrücke, Erlebnisse und Gedanken. Ohne innere Logik, ohne erzählerische Klammer. Dafür mit Unverständnis im Bauch und in der Seele. Unverständnis über dieses Schauspiel, das sie Europa nennen. Fassungslosigkeit darüber, wie Verantwortliche, Politiker, Entscheidungsträger die Menschen, denen nichts geblieben ist, so dermaßen würdelos behandeln. Wer spenden will, kann dies zum Beispiel hier tun.
Fight for humanity. #Refugeeswelcome
Sie haben kein Gepäck. Die jungen Männer, die am Rande der nordserbischen Stadt Subotica aus einem Taxi steigen und vor der stechenden Mittagssonne in den Schatten am Straßenrand streben, haben kein Gepäck. Keinen Rucksack, keine Umhängetasche. In den Händen hält jeder eine kleine Plastiktüte mit den Logos von Caritas und Auswärtigem Amt. Darin ein paar Lebensmittel, eine kleine Flasche mit Wasser. Mehr nicht. Als sie hören, dass der Weg nicht weiterführt, die Grenze zu Ungarn geschlossen ist, lassen sie die Köpfe hängen. Die Schultern sinken nach vorne, erschöpft lassen sie sich in den Schatten unter einen Baum fallen. Sprechen wollen sie nicht. Einer schüttelt den Kopf, bevor er ihn in seinen Händen verbirgt. Nebenan eine syrische Mutter mit einem wenige Tage alten Baby im Arm. Wohin sollen sie gehen? Immer die gleiche Frage. Immer wieder keine Antwort.
Zurück kann er nicht mehr. Der syrische Mann – nur wenige Jahre älter als ich – der in Kanjiza vor einem Zelt in der Sonne steht, lässt die Hände sinken. Der fürsorgliche Vater von 5 Kindern, der geliebte Sohn einer 75-jährigen Mutter, der liebende Ehemann einer verängstigten Frau hat alles aufs Spiel gesetzt. Vom Mut der Verzweiflung, der ihn und sieben weitere Männer seiner Familie – Brüder, Cousins verschiedener Verwandtschaftsgrade – zum Aufbruch getrieben hat, ist nur noch Verzweiflung übrig geblieben. Die Bombe, die sein Haus zerstört hat, hat alles im Umkreis von 50 Kilometern dem Erdboden gleich gemacht. Und als Assads Armee keine Bomben mehr warf, drang der IS in ihr Stadtviertel vor. Kämpfen wollte er nicht. Er ist Agraringenieur. Will eine Zukunft, wenn schon nicht für sich, dann für seine Kinder. Doch nun haben sie nur noch 400 Euro. Wie sollen sie damit nach Dortmund kommen, wo sie schon jemanden kennen? Wie die Familie nachholen, die sie mit nichts zu Hause zurücklassen mussten? Wie sollen sie weiterkommen, jetzt, wo die Grenze nach Ungarn dicht ist und man nicht weiß, ob man nach Kroatien kommt und wenn ja: Wie weiter von dort? Ohne Geld? Gott wird uns helfen, sagt er. Und fügt hinzu: Hoffentlich tut er es bald.
Sie hält sich am Brückengeländer fest. Schaut unruhig hinunter zur Donau. Um sie herum packen alle ihre wenige Habe zusammen: Zelte oder Decken, Wasserflaschen, Schuhe, abgenutzte Kuscheltiere. Streben zurück über die Brücke zum Grenzübergang von Bezdan, wo Busse vorfahren, die die Menschen zu einem anderen Grenzübergang bringen, der offen sein soll. Noch. Doch sie packt nicht. Ruft stattdessen laut zwei Namen. Immer und immer wieder. Bis ihr die Kraft ausgeht. Ihre Kinder wollten sich am Fluss waschen. Und jetzt sind sie nicht da. Kommen nicht zurück. Zwei Helfer des serbischen Samariterbundes übernehmen das Rufen. Ein junger Mann steigt die Böschung hinab, um nach den Kindern zu suchen. Kommt alleine wieder zurück. Die Brücke leert sich schnell. Die Mutter bleibt mit leeren Augen zurück.
Vier Jungs sitzen im spärlichen Schatten eines kleinen Igluzeltes. 15 und 16 Jahre alt sind sie. Aus Syrien. Sonst ist keiner mehr übrig. Sie sind ganz allein. Mehr wollen sie nicht erzählen. Wo gibt es Trinkwasser? Etwas zu essen? Schuhe, mit denen sie weitergehen können? Und vor allem: Warum dürfen sie nicht weiter über die Grenze nach Kroatien? Warum will niemand sie haben? Sie können doch nichts dafür, dass in ihrer Heimat kein Leben mehr möglich ist. Sie wollen so gerne einen Platz haben, an dem sie bleiben können. Nicht hier, im Niemandsland über der Donau. Deutschland? Können wir nach Deutschland? Fragen sie schüchtern. Keine Antwort zu wissen tut weh.
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