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Links gegen das Schweigen XI

Die Anschläge von Paris haben leider direkt auch zu weiterer Hetze gegen Flüchtlinge geführt. Anhand von Sankt Martin zeigt Modeste, warum solche Reflexe völlig sinnlos sind. (Ja, der Text ist vorher entstanden, illustriert aber trotzdem ziemlich gut die Situation.)

Welche Auswirkungen der Terror, der jetzt auch hier in Europa wütet, auf die Flüchtlinge selbst hat, beschreibt ‚Lucie‚. Und auch Journalistontheroad macht sich Gedanken darüber, was der Terror für die Menschen heißt, die gehofft hatten, genau dieser Gewalt endlich entkommen zu sein.Hinweisschild auf den Refugees Welcome e.V. Bonn

Bei Lucie Marshall könnt ihr übrigens gleich weiterlesen über Erfahrungen, die man machen kann, wenn man sich auf die Lebenswirklichkeit von Menschen, die bis vor kurzem eine ganz andere Lebensweise die ihre nannten, einlässt und sich kennen lernt.

Lesenswert ist die Krautreporter-Geschichte darüber, was es heißt, als Flüchtling in Deutschland zu warten, ausgebremst von der Bürokratie.

Dass es Menschen gibt, die genau diese Situation ausnutzen, um möglichst viel Profit herauszuschlagen, ist traurig, war aber irgendwie zu erwarten. Darüber, wie Investoren mit der Flüchtlingskrise Kasse machen, berichtet unter anderem der Bayerische Rundfunk.

Diese Zeit-Reportage aus Slowenien haben sicher viele von euch schon gelesen. Ich verlinke ihn trotzdem, denn neben der unerträglichen Situation an sich ist auch das dort beschriebene Gefühl der Hilflosigkeit kann auch motivieren, immer wieder die kleinen Möglichkeiten zu nutzen, die sich uns bieten.

Über ein besonderes Beratungsprojekt von Flüchtlingen für Flüchtlinge berichtet SPON schon vor einigen Wochen. Es ist noch immer lesenswert.

Auch lesenswert ist Sascha Lobos Aufruf, rechtsextreme Äußerungen genauso zu bezeichnen. Warum er für eine solche Verwendung der „Nazikeule“ plädiert, erklärt er so präzise wie nachvollziehbar.

Zum Schluss noch ein nützlicher Link für Helferinnen und Helfer: Das Icoon-Book ist eine Art-Bild-Wörterbuch und hilft bei der Kommunikation in Alltagssituationen.

Wenn Politik Ekel auslöst

Miz du – schwarzer Monat, nennen die Bretonen den November. Draußen sieht es in diesem Jahr so gar nicht dunkel aus. Dafür aber andernorts umso mehr.Baum mit herbstgoldenen Blättern

Anstatt ernsthaft sichtbar zu machen, dass man an den Ursachen der Flut arbeitet, dass man versucht, durch Friedenspolitik Kriege zu verhindern, vielleicht sogar zu beenden; anstatt die Ursachen von Hunger und Armut durch wirksame Maßnahmen anzugehen; anstatt auf diejenigen einzuwirken, die Menschen aufgrund einer anderen Meinung bis aufs Blut verfolgen – anstatt also dafür zu arbeiten, dass Menschen dort, wo sie leben und leben wollen, auch leben können, konzentrieren sich viel zu viele Politiker darauf, Menschen inmitten des Bombenhagels mitzuteilen, dass sie bei uns nicht erwünscht sind.

Dürfen Syrer, die mit Mühe und Not der Hölle des Krieges und dem lebensgefährlichen Wahnsinn der Schlepperbanden entronnen sind, die das Herumgeschubse zwischen den Grenzen überstanden haben und endlich irgendwo angekommen sind, wo sie doch nur eines erhoffen: Sicherheit und die Möglichkeit, ein sinnerfülltes Leben zu führen – dürfen diese Menschen also ihre Familien aus dem Bombenhagel, aus der Bedrohung durch Krieg und Terrorbanden nachholen? Oder dürfen sie das nicht, weil sie „nicht individuell bedroht sind“. Was auch immer das mitten in einem Krieg bedeuten soll.

Ja, wir müssen über Flüchtlinge reden. Darüber, wer bleiben darf und wie man diese Menschen in unsere Gesellschaft integrieren kann. Darüber, wie wir es hinkriegen, dass Menschen nicht monatelang auf einen Termin für ihre Registrierung warten müssen. Wir müssen reden über die zunehmende hasserfüllte Gewalt. Darüber, warum Journalisten von Rechtsextremen bedroht werden können und die ‚volle Härte des Gesetzes‘, die so oft wohlfeil beschworen wird, darin besteht, dass nichts passiert.

Wir müssen reden über Ängste und wie man mit ihnen umgehen kann. Wir müssen darüber reden, warum es in unserem Land möglich ist, dass Kinder nachts auf dem kalten Boden schlafen, während nebenan beheizte Zelte stehen, die aber für einige Stunden schließen müssen. 

Wir könnten auch darüber reden, wie wir die Menschen im Libanon, in Jordanien, im Irak, in Afghanistan, in Kenia, in… – die Liste ließe sich endlos fortsetzen – so versorgt werden können, dass sie auch in der Nähe ihrer Heimatländer eine Chance haben zu leben und die Hoffnung zu nähren, dass sie eines Tages zurückkehren und ihre Dörfer wieder aufbauen können.

Es gibt hunderte Themen, über die man sinnvoller Weise ernsthaft reden müsste. Fragen wie die nach dem Familiennachzug sollten meiner Meinung nach nicht auf der Tagesordnung stehen. Weil das am Ende nur dazu führt, dass mehr Familien die lebensgefährliche Überfahrt über das Mittelmeer versuchen. Dass jemand freiwillig im Krieg zurückbleibt, der Gefahr, zu verhungern willentlich zustimmt, weil ein deutscher Minister etwas von „subsidiärem Schutz“ erzählt hat, das kann doch niemand ernsthaft glauben.

Ich würde mir so sehr wünschen, dass die Symbolpolitik endlich aufhört. Dass nicht noch weitere Tage und Wochen verplempert werden mit endlosen Diskussionen über Sachleistungen (die jetzt anscheinend in gerade mal 2 – in Worten zwei – Einrichtungen in Bayern umgesetzt werden, weil sie allen anderen zu teuer und vom Bürokratie-Aufwand her gar nicht zu leisten sind). Dass nicht noch mehr Zeit verloren geht mit Diskussionen über Transitzonen, die am Ende nur etwa 2 % der Flüchtlinge betreffen

Aktuell geht es mit großem Getöse um den Familiennachzug für syrische Flüchtlinge. Der Innenminister fordert, den einzuschränken, rudert zurück, beharrt dann weiterhin darauf, Parteifreunde springen ihm zur Seite, andere wiederum nicht; die SPD meckert, manche aber nur, weil sie sich nicht genug gebauchpinselt und übergangen fühlen. Und dann gilt plötzlich, heimlich, still und leise, wieder das Dublin-Verfahren auch für die Syrer. Das Schauspiel an sich ist schon unwürdig genug. Aber die peinliche Vorführung kann nicht davon ablenken, dass es doch um Menschenleben geht.

Symbolpolitik hilft niemandem. Wenn jemand eine Idee hat, wie man zu einem sinnvollen, hilfreichen Dialog zurückfinden kann: Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um sie laut zu äußern. Freiwillige vor. Refugees welcome.

Links gegen das Schweigen IX

„Also: Macht bitte weiter eure Jobs und vermittelt uns nicht ständig mit Floskeln wie „größte Herausforderung seit …“ oder „Bis an die Grenze der Belastbarkeit …“ oder sonstigem „Ich – hab’-den-Größten-und-auch-die-größte-Krise“ Machogeschwätz eure eigene Überforderung. Keiner von uns in der Nachkriegsgeneration hat jemals eine wirklich große Herausforderung bestanden und keiner von uns ist je an die Grenzen seiner Belastbarkeit gegangen. Außer vielleicht beim Bungee-Jumping. Wir kommen schon klar, macht euch keine Sorgen.
Nicht wir sind es, die größte Herausforderungen zu meistern haben, sondern diejenigen, die zu uns kommen.
Nicht wir haben ein Problem, weil wir in der Turnhalle kein Zirkeltraining machen können, sondern die, die in der Halle leben müssen.
Nicht wir haben irgendeinen Grund zu jammern, sondern alle, die ihre Heimat, ihre Familie, ihre Freunde verloren haben.“

Das schreibt Frank Stauss auf Carta. Und auch der Rest des Textes ist sehr lesenswert.

Sascha Lobo schreibt über die gleiche Entwicklung und konstatiert mitten im Herbst einen braunen Frühling in Deutschland. Man möchte ihm entgegenschreien, dass das alles gar nicht so ist. Ist es aber doch. Und genau daher gilt es, immer wieder konsequent den Mund aufzumachen. Und zu helfen. Nicht müde werden.

Dass genau das Gegenteil davon passiert, befürchtet Heribert Prantl in einem Text, den ihr unbedingt ganz lesen solltet:

„Das Elend der Flüchtlinge ist so nahe gerückt in den vergangenen Wochen – und es hat so viele Menschen hierzulande ans Herz gefasst. Es ist aber auch die Sorge groß, dass die Stimmung kippt, dass sich Angst Luft macht in Abwehr und Ausschreitung. Man kann dieses Kippen der Stimmung auch herbeireden, herbeischreiben und herbeisenden; ich glaube, das geschieht gerade.“

Schild vor einem Café in Köln: Heute empfehlen wir Dialoge!

Was mit einem passieren kann, wenn man ernst macht mit dem persönlichen Engagement, beschreibt Lucie im Bericht über ein besonderes Telefonat.

Auch im LandlebenBlog geht es um konkrete Begegnungen mit Flüchtlingen – in der Stadt und mitten „im Wald“.

Anne Schüssler beschreibt, was die Begegnung mit Geflüchteten mit ihr macht, in drei eindrücklichen Begegnungen.

Bei Rayna könnt ihr hören, wie es „Mitten im Nichts“ auf der Balkan-Route aussieht.

Und Nicole beschreibt ein Wiedersehen, das alle bewegt.

Links gegen das Schweigen VII

Zurzeit ändert sich Lage für die Menschen auf der Flucht nach Europa manchmal stündlich. Ich habe das in der vergangenen Woche in Serbien selbst sehr deutlich erlebt. Länder schließen ihre Grenzen, öffnen sie wieder, lassen Menschen ins Land oder nur passieren, blockieren Straßen oder stellen Busse. Regierende korrigieren ihre Haltung, Solidarität wird innerhalb der EU an vielen Stellen zu einem Fremdwort, andere Menschen werden zum ersten Mal aktiv, spenden Kleidung oder Zeit für die Neuankömmlinge in ihrem Land. Stellen politische Fragen zurück, um die Würde der Menschen, denen nichts anderes mehr geblieben ist, zu schützen und einfach zu helfen."Refugees welcome" auf einer Betonmauer aufgesprüht

In diesem schnellen Tempo sind Texte von vor einigen Tagen oder gar Wochen (ja, so lange geht das schon) schnell überholt. Doch es lohnt sich, zwischendurch innezuhalten. Sich zu sammeln. Nachzudenken, um wieder vorausschauen zu können. Daher findet ihr heute hier auch einige ältere Texte, die aber noch immer relevant sind. Diese Bilderserie auf SPON zum Beispiel, die zeigt, was Menschen einpacken, wenn sie ihr Leben in einen Rucksack packen müssen.

Pia Ziefle ruft dazu auf, nicht schweigend zuzusehen, wenn Menschen sich hasserfüllt gegen Flüchtlinge äußern. Und dazu auch die Regierung, unsere Abgeordneten, in die Pflicht zu nehmen. Auch wenn seit Erscheinen ihres Aufrufs viel passiert ist, stimmt das, was sie schreibt, noch immer. Also lesen und machen:

„Wir alle können dem ein wenig nachhelfen, indem wir unsere Stimme erheben. Und zwar nicht in den sozialen Medien, nicht erst bei den nächsten Wahlen, sondern gleich in der nächsten Mail an unsere Abgeordneten.“

Und Heribert Prantl stellte in der Süddeutschen schon Anfang des Monats fest:

„Es kann und darf nicht sein, dass Teile Europas hinter den Westfälischen Frieden zurückfallen. Europa lebt nicht nur vom Euro; es lebt von seinen Werten, von der Glaubens- und Gewissensfreiheit, der Freiheit der Person, der Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz und der Freizügigkeit. Europa lebt davon, dass es die Menschenwürde schützt. Wenn ihm diese Werte nichts mehr wert sind, ist Europa das Überleben nicht wert.“

Was das, was mit den sechs Buchstaben „Flucht“ so schnell benannt ist, in Menschen bewirkt, wie es sie für ihr Leben kennzeichnet, dieser Frage geht eine Studie nach, der zufolge ein Drittel aller Flüchtlingskinder traumatisiert sind:

„Sie waren tagelang zum Meer gelaufen, hatten in überfüllten Flüchtlingsbooten ausgeharrt, mussten sich in Lastwagen zwischen Kisten verstecken. Sie durften nicht schreien, egal wie viel Angst sie hatten, egal wie krank sie sich fühlten, egal wie übel ihnen war.“

Auch Martin Kauls Text in der taz über die Lage der Flüchtlinge, die Anfang des Monats in Budapest festsaßen, ist immer noch lesenwert, beschreibt er doch neben der konkreten Situation im Bahnhof von Keleti viele grundsätzliche Fragen, die wir uns hier jeden Tag stellen können.

Aktueller und genauso lesenswert sind die Szenen, die Maximilian Buddenbohm aus Hamburg beschreibt.

Rayna war mit mir in Serbien unterwegs und beschreibt ein Erlebnis in einem improvisierten Nachtlager für Flüchtende in einem Park in Belgrad.