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Links gegen das Schweigen IX

„Also: Macht bitte weiter eure Jobs und vermittelt uns nicht ständig mit Floskeln wie „größte Herausforderung seit …“ oder „Bis an die Grenze der Belastbarkeit …“ oder sonstigem „Ich – hab’-den-Größten-und-auch-die-größte-Krise“ Machogeschwätz eure eigene Überforderung. Keiner von uns in der Nachkriegsgeneration hat jemals eine wirklich große Herausforderung bestanden und keiner von uns ist je an die Grenzen seiner Belastbarkeit gegangen. Außer vielleicht beim Bungee-Jumping. Wir kommen schon klar, macht euch keine Sorgen.
Nicht wir sind es, die größte Herausforderungen zu meistern haben, sondern diejenigen, die zu uns kommen.
Nicht wir haben ein Problem, weil wir in der Turnhalle kein Zirkeltraining machen können, sondern die, die in der Halle leben müssen.
Nicht wir haben irgendeinen Grund zu jammern, sondern alle, die ihre Heimat, ihre Familie, ihre Freunde verloren haben.“

Das schreibt Frank Stauss auf Carta. Und auch der Rest des Textes ist sehr lesenswert.

Sascha Lobo schreibt über die gleiche Entwicklung und konstatiert mitten im Herbst einen braunen Frühling in Deutschland. Man möchte ihm entgegenschreien, dass das alles gar nicht so ist. Ist es aber doch. Und genau daher gilt es, immer wieder konsequent den Mund aufzumachen. Und zu helfen. Nicht müde werden.

Dass genau das Gegenteil davon passiert, befürchtet Heribert Prantl in einem Text, den ihr unbedingt ganz lesen solltet:

„Das Elend der Flüchtlinge ist so nahe gerückt in den vergangenen Wochen – und es hat so viele Menschen hierzulande ans Herz gefasst. Es ist aber auch die Sorge groß, dass die Stimmung kippt, dass sich Angst Luft macht in Abwehr und Ausschreitung. Man kann dieses Kippen der Stimmung auch herbeireden, herbeischreiben und herbeisenden; ich glaube, das geschieht gerade.“

Schild vor einem Café in Köln: Heute empfehlen wir Dialoge!

Was mit einem passieren kann, wenn man ernst macht mit dem persönlichen Engagement, beschreibt Lucie im Bericht über ein besonderes Telefonat.

Auch im LandlebenBlog geht es um konkrete Begegnungen mit Flüchtlingen – in der Stadt und mitten „im Wald“.

Anne Schüssler beschreibt, was die Begegnung mit Geflüchteten mit ihr macht, in drei eindrücklichen Begegnungen.

Bei Rayna könnt ihr hören, wie es „Mitten im Nichts“ auf der Balkan-Route aussieht.

Und Nicole beschreibt ein Wiedersehen, das alle bewegt.

Links gegen das Schweigen VIII

Ich war einige Tage offline (nicht nur vom Internet), dann erkältet und nun stelle ich auch mit diesem Abstand fest, dass ich in Punkto Flüchtlinge und der Haltung vieler Menschen zu ihnen aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr rauskomme.

Da werden im Eiltempo neue Gesetz erlassen und ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll zu kritisieren, so falsch scheint das alles grundsätzlich zu sein. Die Tagesschau hat die wichtigsten Kritikpunkte übersichtlich zusammengefasst.

Wenn man sich etwas ausführlicher mit der Thematik beschäftigt, stellt man fest, dass es nicht nur mir so erscheint, dass diese neue Politik nichts bringt (außer Aktionismus natürlich) sondern dass das wissenschaftlich erwiesen ist. Die Bundespressekonferenz mit den Wissenschaftlern vom „Rat für Migration“ ist zwar schon ein paar Tage alt, dauert 53 Minuten, aber das ist auch heute noch gut investierte Zeit. Schaut euch das an. Dort hört ihr nicht nur, dass die aktuelle Krise absehbar war (und seit wann), sondern erfahrt auch fundierte Argumente gegen die Benennung immer neuer „sicherer Herkunftsländer“. Die Stellungnahme, die in der PK erwähnt wird, findet ihr hier. Auch das Lesen lohnt sich.ein paar verlassene Kinderschuhe am Straßenrand

Umso weniger versteht ich Ideen, immer neue Zäune zu bauen. Und nicht nur Herr Söder hat solche seltsamen Ansichten, Herr de Maizière steht ihm in nichts nach. Ich bin gewiss keine Sozialromantikerin, aber ich verstehe einfach nicht, warum man hier Ängste schürt, anstatt nach Lösungen zu suchen. Ich verstehe nicht, warum man so sehr die Augen verschließt vor offensichtlichen Tatsachen – wie zum Beispiel dem Fakt, dass es in großen Massenunterkünften, in denen es naturgemäß laut ist und wenig Privatsphäre gibt, in denen man kaum etwa tun kann außer Warten – dass es in solchen überbelegten Unterkünften zu Spannungen kommen kann. Und dass das nicht allein an den Flüchtlingen liegt, sondern eben auch daran, dass wir es nicht hinbekommen, die Menschen anders unterzubringen.

Die Forscher in der bereits erwähnten Pressekonferenz erklären übrigens auch, warum sie eine „Willkommensstruktur“ statt einer Willkommenskultur für nötig halten und was getan werden müsste, um die Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe zu entlasten.

Über diese Ehrenamtlichen, „Die, die immer da sind„, schreibt sehr eindrücklich und lesenswert das LandLebenBlog. Dort gibt es auch eine Blogparade zum Thema Fremdsein mit vielen lesenswerten Texten und Perspektiven auf ein Thema, das zurzeit so viele Menschen beschäftigt.

Was es konkret bedeutet und welche menschenverachtenden Folgen es haben kann, dass die Behörden sich zurzeit überlastet fühlen, beschreibt Kathrin am Beispiel eines abgelehnten Familiennachzuges.

Falls ihr sonst nicht viel lest, dann nehmt euch diese beiden etwas grundsätzlicheren Texte vor: Journelle macht sich Gedanken über den Ursprung von ablehnenden Haltungen gegenüber den neuen Mitbürgern:

„Die Forderungen weniger Flüchtlinge ins Land zu lassen, „Anreize“ wie Bargeld zu streichen, schärfere Grenzkontrollen durchzuführen oder Transitzonen einzurichten hat ganz andere Hintergründe. Sie haben nichts mit Zumutbarkeit, eigener Gefahr oder anderen Pflichten zu tun. Es geht um Angst, Missgunst, Gier und Geiz.“

Da geht es aber auch um tiefergehende Fragen zur aktuellen Situation unserer Gesellschaft:

„Wir leben in einer sehr heterogenen Gesellschaft, die – wenn man es positiv ausdrücken will – zumindest versucht, respektvoll mit der Meinungsvielfalt umzugehen. Wenn Neuankömmlinge das sofort zerstören können, dann ist unser freiheitliches-demokratisches Biotop wohl nicht besonders solide aufgestellt.“

Der zweite unbedingt lesenswerte Text steht in der Süddeutschen, stammt von Carolin Emcke und beschäftigt sich mit den Menschen, die zurzeit gebetsmühlenartig „man wird ja wohl noch mal sagen dürfen“ daherplappern:

„Das zweite Missverständnis derjenigen, die mit „man wird ja wohl noch mal sagen dürfen“ operieren, liegt in der impliziten Unterstellung des „dürfen“. Als dürften sie nicht „wohl noch mal sagen“. Als würden ihre Wörter unterdrückt. Als koste es Mut, sich von sozialen Konventionen von Höflichkeit und Gesittung zu entbinden. Als sei es ein Zeichen von Tapferkeit, andere Menschen, andere Überzeugungen oder Lebensweisen herabzuwürdigen. Als gäbe es in dieser zunehmend entgrenzten Mediengesellschaft noch ethische oder ästhetische Tabus, die nicht längst in einer der „Gesprächs-Sendungen“ auf dem Altar der inszenierten Kontroversen geopfert wurden.“

Da gibt es noch mehr Argumente, es lohnt sich, sich diese einzuprägen. Ich fürchte, ich werde sie noch häufiger brauchen können.